Vom Gefühl her kerngesund – aber auch todkrank
10.11.25
Regula und Willy Baumann sind seit 49 Jahren verheiratet.
Willy Baumann erhielt im Juli 2024 die Diagnose Pankreaskrebs. Der Tumor hatte bereits gestreut. Rund eineinhalb Jahre und mehr als 30 Chemotherapie-Einheiten später sagt er trotz allem: «Ich bin ein Glückspilz.»
Horgen an der «Pfnüselküste», ein Haus mit Blick auf den Zürichsee. Hier wohnt Willy Baumann mit seiner Frau. Im gleichen Haus lebt auch eine seiner drei Töchter mit ihrer Familie. Willy Baumann, ein grosser Mann, strahlt, als er die Türe öffnet.
«Ich bin ein Glückspilz», sagt er schon ganz am Anfang des Gesprächs. Ein Glückspilz? Der Ausdruck lässt aufhorchen, denn Willy Baumann wurde im Juli vor einem Jahr mit der Diagnose Bauchspeicheldrüsenkrebs konfrontiert. Beim damaligen CT stellte man bereits Metastasen in der Lunge fest. Inzwischen haben sich auch Ableger in der Leber gebildet.
Im Podcast von Palliaviva sagt der ehemalige Unternehmer, er sei heute sogar dankbar für die Diagnose. «Der Schicksalsschlag gibt mir die Chance, während der beschränkten Zeit, die mir geschenkt ist, nochmals über das Leben nachzudenken.» Im Gespräch mit Baumann wird aber schnell auch klar, wie traurig ihn die Krankheit und der absehbare Abschied machen.
«Wir geniessen jeden Tag»
Der 74-Jährige ist seit 49 Jahren mit seiner Frau verheiratet, die beiden haben drei Töchter und sechs Enkelkinder. Kommt die Sprache auf seine Enkelinnen und Enkel, wird es sofort emotional. Die Kinder wüssten, dass der Grossvater krank sei, sagt er. «Wir geniessen jeden Tag, den wir zusammen haben.» Er spielt viel mit den Enkelkindern und nimmt sie mit zum Fischen oder auf den Ansitz bei der Jagd.
Willy Baumann erklärt, er fühle sich irgendwie kerngesund – sei aber eben auch todkrank. Er zitiert einen brasilianischen Schriftsteller, der einmal gesagt habe: «Jeder Mensch hat zwei Leben. Das zweite beginnt, wenn man realisiert, dass man nur eines hat.» Baumann betont, er schätze die Unterstützung seiner Familie und seiner Freunde in diesen Zeiten enorm. Von vielen Menschen erhalte er liebevolle Briefe.
Schon kurz nach der Diagnose suchte Willy Baumann über seine Hausärztin den Kontakt zu Palliaviva. Nach dem Erstgespräch, der Ausarbeitung eines Notfallplanes und einem weiteren Treffen, bei dem er eine Box mit Notfallmedikamenten erhielt, zog sich das Palliaviva-Team wieder in den Hintergrund zurück. Erst jetzt ist der Kontakt auf Wunsch von Baumann wieder intensiver geworden. «Für mich ist Palliaviva ein ganz wichtiger Teil meines Weges», fasst er zusammen.
Schlaflos in der Nacht
Anlass dafür, Palliaviva wieder intensiver in die Begleitung einzubinden, waren Schmerzen, die Willy Baumann vermehrt plagten. Die Medikamente wurden nun angepasst. Seit der Diagnosestellung hat er im Stadtspital Zürich Triemli mehr als 30 Chemotherapie-Einheiten erhalten. Die Nebenwirkungen hielten sich nach seinen Angaben zum Glück in Grenzen. Vorübergehend sei sein Appetit zurückgegangen, Übelkeit sei ihm aber weitgehend erspart geblieben. Am meisten zu schaffen mache ihm zeitweise die nächtliche Schlaflosigkeit und das Gedankenkreisen.
Dabei realisiert er auch, dass er nicht mehr für alle Projekte, die er gerne umsetzen würde, Zeit und Energie haben wird. Eine Idee war zum Beispiel ein Musical, das er mit Konfirmandinnen und Konfirmanden auf die Beine stellen wollte. Willy Baumann ist reformiert und hat seit der Kindheit einen Zugang zur Religion und zur Spiritualität. In seiner Situation sei er dankbar, dass er diesen Zugang wiederentdeckt habe, sagt er. Ausserdem lese er viel, und nachts, wenn er nicht gut schlafen könne, verarbeite er das Gelesene.
Miteinander traurig sein
Die Hoffnung, dass die Tumore ganz verschwinden könnten, hatte sich für Baumann schnell zerschlagen. «In den ersten drei Monaten nach der Diagnose gelang es mit der Behandlung, den Primärtumor in der Bauchspeicheldrüse etwas zu verkleinern. Dafür wuchsen die Metastasen in der Lunge», erläutert er. Sein Ziel mit den Chemotherapien sei es, den Verlauf der unheilbaren Erkrankung zu verlangsamen.
Wie viel Zeit ihm bleibt, weiss niemand. Kommt die Rede aufs Abschiednehmen und Loslassen, bricht seine Stimme. «Manchmal bin ich schon sehr traurig – und wenn meine Frau auch traurig ist, sind wir es miteinander», sagt er. Er finde aber, man dürfe sich dieser Trauer nicht voll hingeben, sondern müsse lernen, die Krankheit demütig zu akzeptieren. Er versuche immer wieder, den Fokus aufs Positive zu lenken.
Willy Baumann ist ein absoluter Realist. Der Hobby-Jäger sagt: «Irgendwann haben die Ärzte das Pulver verschossen. Dann muss man aufhören mit der Chemotherapie. Vielleicht versucht man dann nochmals etwas anderes?»
Auf jeden Fall möchte er, so lange er nicht ganz bettlägerig und pflegebedürftig ist, zu Hause bleiben. Genau das habe er mit der Kontaktaufnahme mit Palliaviva bezweckt, erklärt er. Durch die Familie, seine Hausärztin und das Palliaviva-Team fühlt er sich optimal unterstützt. Willy Baumann schaut voraus – so weit, wie es möglich ist. Er ist sich aber auch bewusst: «Ich weiss nicht, was auf mich zukommt.»
Das Gespräch mit Willy Baumann gibt es hier als Podcast zu hören.
Buchtipp von Willy Baumann: Axel Hacke: Über die Heiterkeit in schwierigen Zeiten und die Frage, wie wichtig uns der Ernst des Lebens sein sollte. Du Mont Buchverlag. 224 Seiten. ISBN 978-3-8321-6808-7

In der Natur fühlt er sich wohl: Willy Baumann ist Fischer und Jäger.
