Wie Onko Plus mit dem Wunsch nach begleitetem Suizid umgeht

08.10.17

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Viele Menschen äussern den Wunsch nach assistiertem Suizid, weil sie keine unerträglichen Schmerzen ertragen wollen. Technische Hilfsmittel (im Bild eine Schmerzpumpe) und eine kompetente Palliativpflege können diese Symptome lindern und einen natürlichen Tod ermöglichen (Bild: Sabine Rock).

Als Organisation, die schwer und unheilbar kranke Menschen pflegt, wird Onko Plus immer wieder mit dem «Wunsch nach Exit» konfrontiert. Kürzlich hat das Team seine Haltung in dieser Frage geklärt.

An einem Wochenende rief ein Ehemann, der seine kranke Frau zu Hause betreute, verzweifelt auf das Pikett-Handy von Onko Plus an. Seine Frau wolle nicht mehr leben, sagte er. «Es geht ihr zu gut zum Sterben und zu schlecht, um gut zu leben.» Sie habe den Wunsch nach assistiertem Suizid geäussert. Die Pflegefachfrau, die an diesem Wochenende Dienst hatte, fuhr beim Ehepaar vorbei. Sie musste sich etwas aufdrängen. Im schönen Haus auf dem Land angekommen, in dem die beiden lebten, setzte sie sich zur Patientin ans Bett und sagte sinngemäss: «Ich habe gehört, sie wollen sterben. Weshalb geht es nicht?» Die Frau war überrascht von dieser Konfrontation und der Offenheit. Daraus entwickelte sich ein intensives Gespräch, in dem die Patientin ihre Angst vor dem Sterben und ihre Ohnmacht angesichts ihres schlechten Allgemeinzustands äussern konnte. Die Onko-Plus-Mitarbeiterin sagte der Frau sinngemäss: «Sterben ist ein Prozess und nichts Schlimmes. Ich bin überzeugt, dass sie es auch allein schaffen.» Sie erzählte ihr, was beim Sterben passiert und berichtete aus ihrer langjährigen Tätigkeit mit sterbenden Menschen.

Die Frau blieb dennoch bei ihrem Wunsch, per begleitetem Freitod aus dem Leben zu scheiden.

Die Onko-Plus-Mitarbeiterin holte den Ehemann zum Gespräch dazu und fragte ihn, wie es ihm damit gehe. Er sagte, er habe Mühe, die notwendigen Schritte zu veranlassen, damit seine Frau «mit Exit gehen» könne. Er wolle keine «Schuld» auf sich laden. Seine Frau könne ja noch telefonieren, entgegnete die Pflegefachfrau. Diese solle das Gespräch selber führen, um den Termin zu vereinbaren. Das tat sie dann auch und legte den darauffolgenden Donnerstag als ihren Todestag fest. Sie brauchte die Freitodbegleiter schliesslich nicht mehr – denn sie starb zwei Tage zuvor friedlich in ihrem Bett.

Ein ethisches Dilemma

Onko Plus betreut schwer und unheilbar kranke Menschen. Es liegt also auf der Hand, dass diese ihn als ambulanten Pflegedienst regelmässig mit dem Wunsch konfrontieren, dem Leiden selbst ein Ende setzen zu können. Letztes Jahr starben 331 Patientinnen und Patienten von Onkologie Plus. Davon beendeten 13 mit Hilfe von Exit ihr Leben selbst; das entspricht einem Anteil von knapp vier Prozent. Im Vorjahr waren es knapp fünf Prozent. In der Vergangenheit wurde nicht systematisch erhoben, ob die Patientinnen und Patienten Mitglied bei Exit sind und ob sie in dieser Hinsicht den Wunsch geäussert haben, mit einer Sterbehilfeorganisation aus dem Leben zu scheiden. Dies soll in Zukunft festgehalten werden.

Onko Plus hat kürzlich ihre offizielle Haltung zum assistierten Suizid mittels einer Umfrage unter den Mitarbeitenden definiert. Dieser lag eine Aussage der nationalen Ethikkommission von 2005 zugrunde, die ein ethische Dilemma betrifft: Selbstbestimmung sei für alle Menschen im Leben und vor allem auch in der Krankheit zentral. Selbstbestimmung könne jedoch «nicht losgelöst von den Beziehungen zu anderen sowie von den sozialen und biologischen Bedingungen» verstanden werden. Und Beziehung beinhalte eben, dass uns der Tod der anderen nicht gleichgültig sei.

«Ein Palliative-Care-Team braucht eine klare Haltung in dieser Frage.»
Ilona Schmidt, Onko-Plus-Geschäftsleiterin

Für ein spezialisiertes Palliative-Care-Team wie Onko Plus, das seine Patienten zu Hause betreut, sei es auch wegen dieses unlösbaren Widerspruchs notwendig, eine klare Haltung in dieser Frage zu haben, sagt Geschäftsleiterin Ilona Schmidt. Vor Ort bräuchten ihre Mitarbeiterinnen Sicherheit in dieser Frage.

Für ihre Organisation steht im Vordergrund, die Würde und Autonomie der Patientinnen und Patienten zu wahren. Deshalb wird auch deren Wunsch nach einem begleiteten Suizid akzeptiert, und sie werden nicht anders behandelt oder betreut – da waren sich die Mitarbeitenden in der Umfrage einig – als andere Patientinnen und Patienten. Im Gegenteil unterstützen die Fachpersonen die Patienten auch in diesem Entscheidungsprozess, beeinflussen ihn aber nicht. Im Positionspapier steht dazu: «Für das Team von Onko Plus ist es ganz wichtig, dass der Patient, zusammen mit seinen Angehörigen erkennt, dass er in seiner Entscheidungsfindung zum Thema begleiteter Suizid frei ist und sein Wunsch auf Selbstbestimmung, Autonomie und Erhalt seiner Würde, respektiert wird.»

Aktiver Part ist nicht möglich

Ganz klar ist für die Mitarbeitenden von Onko Plus hingegen ebenfalls, dass sie beim assistierten Suizid keinen aktiven Part übernehmen dürfen. Das heisst, sie dürfen weder für den Patienten Exit anrufen, noch einen intravenösen Zugang legen, falls dieser das Sterbemittel nicht mehr selbst schlucken kann.

Die Erfahrung zeigt, dass der assistierte Suizid für viele Palliativpatienten zu Beginn der Behandlung noch eine Option ist. Sobald sie aber mehr wissen über die Möglichkeiten der Palliativmedizin und in ihrer Entscheidungsfindung bezüglich ihres Lebensendes müssen sie, wie im einführenden Beispiel geschildert, schliesslich von dieser Möglichkeit meist keinen Gebrauch mehr machen.

«Man darf die Ängste und Sorgen nicht wegreden.»
Eveline Häberli, Palliativpflegefachfrau

Frage ein Patient oder eine Patientin nach Exit, könne dies auch als Hilferuf verstanden werden, sagt Eveline Häberli, Palliativpflegefachfrau bei Onko Plus. Die Person hat logischerweise Angst vor dem, was noch auf sie zukommt, und fühlt sich gleichzeitig ohnmächtig. Ein offenes Gespräch über das Sterben kläre die Situation und helfe in vielen Fällen. «Man darf die Ängste und Sorgen nicht wegreden.» Manchmal beruhige die Patienten auch einfach das Wissen, eine Hintertüre zu haben und sie könnten dann auf natürlichem Weg sterben.

Zu den Aufgaben eines spezialisierten Palliative-Care-Teams gehört es, alle Möglichkeiten dieser Disziplin aufzuzeigen. «Die Patientinnen und ihre Familien sollten auf dem aktuellsten Informationsstand sein. Sie müssen wissen, was sie einfordern können», sagt Ilona Schmidt. Dazu gehöre zum Beispiel eine ausreichende Schmerzbekämpfung. Häufig könne man in der Symptombekämpfung sehr weit gehen. Schliesslich solle auch auf die Möglichkeit einer palliativen Sedation aufmerksam gemacht werden, die auch nur partiell – zum Bespiel nachts – möglich ist. Dieser künstliche Tiefschlaf kommt zum Tragen, wenn das Leiden des Betroffenen als unerträglich empfunden wird und der Einsatz der möglichen Medikamente ausgeschöpft ist.

Grundsätzlich verfolgt die Stiftung für spezialisierte mobile Palliativ- und Onkologiepflege folgende Ziele: Sie will schwer kranken Menschen und ihren Familien, Sicherheit vermitteln, zum Beispiel indem sie für sie rund um die Uhr erreichbar ist. Sie bietet bei körperlichen und seelischen Beschwerden Linderung und Unterstützung an. Zudem kümmert sie sich auch um die Angehörigen: Denn sie sind eminent wichtige Personen im Pflegesetting zu Hause, tragen eine schwere Last und kommen häufig an ihre Grenzen.

Angehörige leiden nach assistiertem Suizid mehr

Eveline Häberli ist der tiefen Überzeugung, dass man etwas entbehren müsse, wenn man den Weg des assistierten Suizids wähle. «Das Sterben ist ein natürlicher Prozess, der seine Zeit braucht. Unsere Aufgabe ist es, den Menschen Sicherheit zu geben und ihr Urvertrauen zu stärken, dass sie das schaffen können.» Zudem hätten die Angehörigen häufig Mühe, einen assistierten Suizid zu akzeptieren und ihre Trauer zu verarbeiten. Das belegt auch eine Studie der Universität Zürich von 2011, die zeigte, dass rund 40 Prozent der Angehörigen nach einem assistierten Suizid psychisch litten.

Die Sterbehilfeorganisation scheint die Begriffe Würde und Selbstbestimmung gepachtet zu haben. Das stört Ilona Schmidt und Eveline Häberli. Denn auch für die Palliative Care sind diese beiden Werte zentral. Selbstbestimmung heisse in der Palliative Care, den Weg des natürlichen Todes zu wählen, sagt Schmidt. «Es heisst, dass ich bereit bin, mich mit meiner Endlichkeit auseinanderzusetzen und das auch mit meiner Familie zu besprechen. Es bedeutet aber auch zu definieren, welche Symptome ich ertragen kann und welche nicht.»

«Man hat auch Einfluss auf sein natürliches Sterben.»
Eveline Häberli

Gian Domenico Borasio, der bekannteste Palliativmediziner der Schweiz, sagte in einem Interview rund um die Themen Selbstbestimmung und assistierter Suizid: «Autonomie geht weit über das Recht hinaus, den eigenen Todeszeitpunkt bestimmen zu können.» Eveline Häberli kehrt die Aussage sogar um: Selbstbestimmung könne auch heissen, dann gehen zu können, wenn der Zeitpunkt für einen persönlich gekommen sei. Wichtig sei auch zu wissen: «Man hat auch Einfluss auf sein natürliches Sterben.»

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