Weihnachten feiern trotz Krankheit und Trauer

04.12.25

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Weihnachten gilt als Fest der Freude und des Zusammenseins mit der Familie. Doch was passiert, wenn eine schwere Erkrankung oder ein Trauerfall dieses Bild erschüttert? Im Interview mit der Psychotherapeutin Sabin Bührer geht es um Weihnachten in Zeiten von Krise und Belastung.

Das ausführliche Gespräch mit Sabin Bührer gibt es hier als Podcast zu hören.

Sabin Bührer, was ist dein Bezug zu Palliative Care, beziehungsweise zu Palliaviva?

Ich habe eine Zeit lang als Psychotherapeutin im Hospiz Zürcher Lighthouse gearbeitet. Danach war ich mehrere Jahre lang als Supervisorin für Onko Plus tätig, wie Palliaviva früher hiess.

Was bedeutet Weihnachten für dich persönlich?

Ich gehöre zu denen, die Weihnachten wirklich mögen. Ich liebe es, wenn überall Kerzen brennen, und ich schätze das Rituelle an Weihnachten. Es gefällt mir, wenn es jedes Jahr etwa gleich ist. Und ja, ich gebe es zu: Ich liebe Geschenke. Ich freue mich, wenn ich welche bekomme, aber ich verschenke auch gerne. Diese spezielle Stimmung, die zu Weihnachten gehört, finde ich einfach schön.

Wie feierst du Weihnachten?

Ich habe eine grosse Familie, und viele meiner Geschwister haben mittlerweile Kinder, so dass die Feier im Kreis der ganzen Familie etwas zu gross geworden ist, um alle zusammen zu feiern, wie wir es früher gemacht haben. Seit ein paar Jahren feiere ich Weihnachten mit meinen Eltern, meinem Bruder und seiner Partnerin, meinem Partner und manchmal auch mit der Mutter meines Partners.

Du hast mir vorhin gesagt, dass das Thema, das wir heute besprechen – schwere, unheilbare Krankheit und Weihnachten – in deiner Familie derzeit nicht aktuell ist. Trotzdem hast du mit diesem Thema zu tun, warum?

Ja, Tod und Sterben haben mich schon immer begleitet. Ich habe ein gewisses Interesse und auch eine Faszination dafür, vor allem, weil der Tod in unserer Gesellschaft sehr tabuisiert ist. Es gibt kaum etwas, über das wir so wenig wissen wie über das Sterben.

Das ist auch etwas, das dich in deiner Praxis als Psychotherapeutin beschäftigt, oder?

Ja, immer wieder kommen Patientinnen und Patienten zu mir, die mit der Krankheit eines Angehörigen zu kämpfen haben, oder die selbst schwer erkrankt sind. Auch Suizid oder der Verlust von Menschen durch den Tod sind Themen, die in meiner Praxis vorkommen.

Weihnachten ist in unserer Kultur stark emotional aufgeladen. Würdest du auch sagen, dass Weihnachten für viele emotional viel intensiver ist als Ostern oder Pfingsten?

Absolut, ja. Weihnachten ist stark mit Emotionen und Bildern verbunden, und viele dieser Bilder sind sehr alt. In unserer Kultur gibt es viele nostalgische Erinnerungen an Weihnachten, vor allem aus der Kindheit, als das Fest noch sehr positiv besetzt war.

Du sprichst von positiven Emotionen, aber man hört ja auch immer wieder, dass es an Weihnachten oft Streit gibt.

Das stimmt, das passiert auch. Aber meistens gelingt es uns, solche Konflikte nach ein paar Jahren wieder auszublenden, weil wir uns an die positiven Seiten erinnern und die schönen Momente wieder in den Vordergrund rücken.

Wie verändert sich der Blick auf Weihnachten, wenn jemand in der Familie schwer erkrankt ist oder man weiss, dass es das letzte Weihnachten mit dieser Person sein könnte?

Weihnachten wird dann oft mit viel Ambivalenz erlebt. Einige Menschen empfinden es als tröstlich, noch einmal Weihnachten gemeinsam zu feiern, um eine schöne Erinnerung zu schaffen. Andere empfinden die Festtage als zu belastend, weil die Krankheit im Vordergrund steht und es zu emotional ist. Manche wollen deshalb ganz auf Weihnachten verzichten.

Also lässt man Weihnachten aus, besonders in dem Jahr, in dem jemand schwer krank ist?

Ja, das kommt vor. Manchmal hat das Fest einfach keinen Platz mehr. Und manchmal hält dieses Gefühl nach einem Trauerfall an: Gerade wenn jemand um Weihnachten herum gestorben ist, ist das Fest mit so viel Trauer aufgeladen, dass man es nicht mehr feiern möchte – oder es anders feiert.

Wenn man das Fest bewusst anders feiert: Ist es aus deiner Sicht als Psychotherapeutin gut oder schlecht, sich so bewusst mit einem bevorstehenden Verlust zu konfrontieren?

Was heisst schon konfrontieren? Auch das ist individuell. Wenn man diesen Weg für richtig hält, dann ist er richtig. Für gewisse Personen funktioniert es einfach besser, wenn sie belastende Gedanken so lange wie möglich von sich wegschieben. Das ist in Ordnung. Man spürt selbst am besten, was für einen positiv und förderlich ist.

Psychotherapeutin Sabin Bührer hat eine Praxis in Zürich 3.

 

Aus deiner Sicht ist also auch Ignorieren und Verdrängen eine zulässige Strategie?

Absolut. Verdrängen hat zu Unrecht einen schlechten Ruf. Verdrängen kann, zumindest eine Zeit lang, auch unheimlich kraftspendend sein. Wir haben nicht immer die nötigen Kapazitäten, um unseren Alltag ohne Verdrängung zu bewältigen. Wichtig ist: Wenn man merkt, dass es mit dem Verdrängen nicht mehr gut funktioniert, sollte man einen anderen Weg einschlagen.

Du hast gesagt, dass Weihnachten in unserer Kultur als ein Fixpunkt angesehen wird. Auch schwerkranke Menschen möchten häufig Weihnachten noch erleben, bevor sie sterben. Warum ist das so wichtig?

Weihnachten ist ein Fixpunkt im Kalender, und solche Ereignisse – sei es Weihnachten oder ein wichtiger Geburtstag – bieten sowohl den Betroffenen als auch den Angehörigen die Gelegenheit, noch einmal zusammenzukommen und ein gemeinsames Ereignis zu erleben. Es ist eine Möglichkeit, sich etwas Besonderes zu bewahren.

Gibt es ein Beispiel, das dir aus deiner Praxis einfällt?

Nicht aus der Praxis, aber aus meinem privaten Umfeld. Ich erinnere mich an eine Arbeitskollegin, die schwer erkrankt war und wusste, dass sie nicht mehr lange leben würde. Sie wollte unbedingt noch die Hochzeit ihrer Nichte erleben.

Wenn Weihnachten dann nicht nur die Zeit der Lebkuchen und Glühwein ist, sondern mit Schmerz und Trauer verbunden wird – wie kann man diese Zeit am besten überstehen? Hast du Tipps?

Es gibt keine pauschale Antwort, weil es sehr individuell ist. Einige Personen suchen in dieser Zeit den Kontakt zu anderen, möchten sich mit Menschen umgeben, die ihnen guttun. Andere möchten lieber für sich sein und sich der Weihnachtshektik entziehen. Der wichtigste Tipp ist, auf sich selbst zu hören: Was tut mir gerade gut?

Aber in der Weihnachtszeit ist es ja oft nicht einfach, allein zu sein, da man schnell in familiäre Konflikte verwickelt wird.

Genau. Wenn in der Familie unterschiedliche Bedürfnisse aufeinandertreffen – die einen wollen feiern, die anderen nicht – kann es natürlich zu Konflikten kommen. Aber das Gute in Familien ist oft, dass sich Konflikte auch wieder legen. Man findet Kompromisse, etwa indem man nur für einen bestimmten Teil des Festes kommt, oder einen anderen Teil des Programms auslässt.

Es ist ja nachvollziehbar, dass der Kontrast zwischen Traurigem und dem Feierlichen für manche einfach zu gross ist, oder?

Auf jeden Fall, wobei wir es es hier auch wieder mit einer typischen Ambivalenz zu tun haben. Das sehen wir auch bei Beerdigungen: Zuerst ist man in der Kirche, und dann folgt die Beisetzung, die unglaublich traurig ist. Danach sitzt man bei Kaffee und Kuchen zusammen und teilt Erinnerungen. Manchmal sind diese Essen sehr ausgelassen. Das hat in meinen Augen auch etwas Gesundes. Trauer, die so einnehmend ist, dass es keine Momente der Freude, Zuversicht und Leichtigkeit mehr gibt, ist für die Betroffenen unglaublich belastend. Es geht nicht darum, das Traurige zu bagatellisieren, doch auch das Lebenswerte muss wieder Platz haben, denn der Tod gehört zum Leben.

Kehren wir nochmals zurück zu Weihnachten: Es geht also darum, einen gemeinsamen Nenner zu finden, der für alle passt?

Ja, genau. Und das Wichtigste ist, offen zu kommunizieren, was man braucht und was einem gut tut. Das Thema ansprechen und gemeinsam besprechen – auch wenn es schwierig ist – ist entscheidend. Ich würde direkt Betroffenen oder Angehörigen wirklich empfehlen, den Mut zu haben, das Thema offen auf den Tisch zu legen und ihre eigenen Wünsche und Bedürfnisse zu äussern.

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