Sieben-Tage-Schichten waren am Anfang normal
31.12.24
Barbara Arnold geht gern mit ihrem Hund im Wald spazieren. (Foto: Gert Kraft)
Barbara Arnold-Reichlin ist eine der zwei Gründerinnen von Palliaviva. Zusammen mit ihrer Kollegin Agnes Moser war sie ab 1989 mit dem Pflegedienst für Krebspatienten unterwegs. Die Pflegefachfrauen wechselten sich mit Sieben-Tage-Schichten ab: eine harte Zeit, die enorm lehrreich war.
Vor bald vier Jahren, 2021, liess sich Barbara Arnold-Reichlin frühpensionieren. Nicht, weil sie müde war und nicht mehr arbeiten mochte. Sondern ganz bewusst, weil sie mehr Zeit mit ihrem Mann, dem Hund und ihrem nächsten Umfeld verbringen wollte. Die Tatsache, dass sich die Lebenszeit nicht aufschieben lässt, ist eine der wichtigsten Erkenntnisse, die Barbara Arnold aus ihrer Berufstätigkeit gezogen hat.
Sie war dreissig Jahre alt, als sie zusammen mit ihrer Kollegin Agnes Moser den Pflegedienst für Krebspatienten gründete, zunächst als Kollektivgesellschaft und auf rein privater Basis. Beide Pflegefachfrauen hatten zuvor bei der Onko-Spitex der Krebsliga gearbeitet, die aufgelöst worden war. Die zwei Frauen waren derart überzeugt davon, dass es ein solches Angebot weiterhin braucht, dass sie auf eigene Faust loslegten.
Chemotherapien zu Hause
Das Büro hatten sie in Dübendorf, beide besassen ein Auto, und sie arbeiteten mit einem Stamm von Onkologinnen und Onkologen zusammen. Diese wiesen Patientinnen und Patienten an sie weiter, die entweder Therapien zu Hause durchführen wollten oder manchmal so schwer krank waren, dass sie den Wunsch äusserten, daheim zu sterben. Das alles konnten Barbara Arnold und Agnes Moser ermöglichen.
«Es war eine sehr spannende Zeit», erinnert sich Barbara Arnold 35 Jahre später. «Jeder Tag war anders.» Die beiden Pflegefachfrauen führten Chemotherapien durch bei den Betroffenen zu Hause, was häufig einen grossen Unterschied machte, wie sie festhält: «Es gab Patientinnen oder Patienten, die unter starker Übelkeit litten und sich ständig übergeben mussten, wenn die Chemotherapie in der Arztpraxis oder im Spital erfolgte. Daheim blieben diese starken Symptome aber aus.» Auch Schmerzpumpen wurden bei Betroffenen zu Hause eingesetzt, was damals etwas Neues war.
Die Erfahrung, dass ihre Tätigkeit einen wichtigen Einfluss auf die Lebensqualität der Patientinnen und Patienten hatte, trieb Barbara Arnold an. Dabei war es gerade am Anfang nicht einfach, den Dienst aufrechtzuerhalten. Die zwei schoben Sieben-Tage-Schichten über jeweils 24 Stunden, und ganz zu Beginn bezogen sie nicht einmal einen Lohn. Es war eine Zeit, in der sie extrem weibeln mussten, um an Geld für die Aufrechterhaltung des Betriebes zu kommen.
Die Situation verbesserte sich etwas, als sie entschieden, eine Stiftung zu gründen, denn als solche konnten sie die Finanzierung auf eine neue Grundlage stellen, Spenden entgegennehmen und für Projekte Fördergelder beantragen. Barbara Arnold und ihre Kollegin leisteten viel Überzeugungsarbeit, bis der erste Stiftungsrat zusammengestellt war. Im Stiftungsrat sassen auch später immer wieder Ärztinnen und Ärzte, die einen klaren Nutzen für die Betroffenen erkannten.
Krebs und HIV
Zu den Patientinnen und Patienten gehörten damals viele Krebserkrankte, aber auch HIV-Betroffene, die in den achtziger Jahren teilweise noch stark stigmatisiert waren. Die zwei Pflegefachfrauen boten grundsätzlich einen 24-Stunden-Pikettdienst an, und für Barbara Arnold war dieser Einsatz selbstverständlich: «Wenn jemand nachts in Not war und anrief, rückte ich aus. Für mich war klar, dass es viel Engagement braucht, wenn man etwas erreichen will.»
Die Übergabe von der einen an die andere Pflegefachfrau fand jeweils am Mittwoch statt. «Wir überreichten einander einmal pro Woche den Koffer mit den Medikamenten, ein Kistchen mit Verbandsmaterial, Infusionsständer und andere Utensilien, die wir im täglichen Einsatz brauchten», so Barbara Arnold. Und es gab auch einen Austausch über die laufenden Fälle, damit die Patientinnen und Patienten reibungslos weiterbetreut werden konnten.
Von «Palliative Care» sprach damals in der Öffentlichkeit noch kaum jemand. Das war 1989 ein Begriff, der höchstens in Fachkreisen bekannt war und eine Pflegedisziplin, die erst in den folgenden Jahren als eigenständig anerkannt wurde. Barbara Arnold, ihre Kollegin und die Stiftung, die bald hinter dem mobilen Pflegedienst stand, waren auf Expansionskurs. Der Bedarf war ausgewiesen, denn die Zahl der Patientinnen und Patienten wurde laufend grösser. Mit Barbara Karasek wurde eine dritte Pflegefachkraft angestellt, die jahrzehntelang dabeiblieb, und weitere kamen hinzu.
Metzgerstochter, Büro, Pflege
Barbara Arnold, die als eine der Gründerinnen die intensive Anfangszeit erlebt hatte, suchte nach einigen Jahren eine neue Herausforderung. Sie arbeitete später in diversen Spitälern, in einer Pharmafirma und zuletzt als Leiterin der Gerontologischen Beratungsstelle SiL der Stadt Zürich. «Ich hatte immer einen Drei- oder Vier-Jahres-Rhythmus, in dem ich mich nach einer neuen Stelle umsah», sagt sie rückblickend. Sie sei einfach jemand, der Abwechslung brauche. Schon als junge Frau, während der Handelsschule, habe sie gewusst, dass sie nicht im Büro bleiben werde. Darum habe sie Pflegerin gelernt und später die Ausbildung zur Pflegefachfrau absolviert.
Die Tochter eines Metzger-Ehepaares, die mit fünf Geschwistern aufwuchs, machte es sich selber nie einfach. Die Aufbauarbeit bei der damaligen Stiftung Pflegedienst für Krebspatienten – die später Onko-Spitex beziehungsweise Onko Plus hiess und 2019 in Palliaviva umbenannt wurde – war zwar kräftezehrend, doch das Engagement an der Schnittstelle von Leben und Tod faszinierte sie auch: «Ich fand immer, ich könne sehr viel lernen von diesen Menschen. Sie waren alle so authentisch und sich selber, wenn es ums Sterben ging.»
Eine wichtige Frage
Geprägt habe sie auch die Haltung eines Onkologen im Stadtspital Zürich Triemli, wo sie später im Onko-Ambulatorium arbeitete. Der Arzt habe sich viel Zeit für seine Patientinnen und Patienten genommen, und er habe sie nach der Diagnosestellung immer zuerst gefragt: «Was möchten Sie noch erleben?» Erst nachdem diese Frage geklärt war, habe er auf dieser Grundlage den Therapieplan erstellt.
Barbara Arnold wird dieses Jahr 65 Jahre alt. Sie ist gesund und munter, engagiert sich als ehrenamtliche Mitarbeiterin unter anderem bei der Unabhängigen Beschwerdestelle für das Alter (UBA) und steht damit weiterhin für sich und andere ein. Dass sie mit den Menschen in ihrem privaten Umfeld, besonders mit ihrem Mann, auch über das Lebensende spricht, ist für sie selbstverständlich. «Heute hat man einen ganz anderen Zugang zu diesen Themen», stellt sie fest, «und das ist gut so.»