«Selbst bestimmen, was wichtig ist»

02.03.19

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Für Marianne Unger ist es am Wichtigsten, dass ihre Patientinnen und Patienten Entscheidungen selbst treffen können. Für die Palliativpflegefachfrau ist die Palliative Care eine Lebensschule, die sie täglich Gelassenheit lehrt.

Was gibt dir deine Arbeit bei Palliaviva?

Marianne Unger: Sie ist eine Lebensschule. Sie lehrt mich, jeden Tag als Geschenk zu betrachten. Genau wie es unsere Patientinnen und Patienten eigentlich tun sollten. Sie vergessen nämlich zuweilen, dass sie nicht nur sterben müssen, sondern auch noch zu leben haben.

Du arbeitest seit fünf Jahren hier. Wie bist du auf die Stiftung gekommen?

Vor zwanzig Jahren lernte ich in einer Weiterbildung eine Mitarbeiterin von Onko Plus kennen. Sie faszinierte mich, weil sie so eine grosse Ruhe ausstrahlte. Diese stand im Kontrast zu meinem damaligen Leben als alleinerziehende Mutter mit drei halbwüchsigen Töchtern.

Du hast dich bei Onko Plus beziehungsweise Palliaviva beworben, weil du Gelassenheit lernen wolltest?

Nein, diese Frau beeindruckte mich einfach. Aber zu diesem Zeitpunkt konnte ich mich wegen der unregelmässigen Arbeitszeiten nicht bei der Stiftung bewerben. Das onkologische Ambulatorium bot mir eine geregelte Arbeitszeit. Dort blieb ich zehn Jahre und begann parallel bei der Spitex zu arbeiten. Mir wurde bewusst, wie sehr der Fokus des Ambis auf der Therapie liegt. Wenn man aber Menschen zu Hause pflegt, kann man sie ganzheitlicher erfassen.

«In der Spitex betreuen wir viele alte Menschen. Ich konnte mich mit meinem eigenen Altwerden aussöhnen, mit dem ich zuvor Mühe hatte.»

Du arbeitest heute neben deinen 60 Prozenten bei Palliaviva immer noch 10 Prozent bei der Spitex in deinem Wohnquartier. Ist deine Arbeit dort auch eine Lebensschule?

Ja, in der Spitex betreuen wir viele alte Menschen. Ich konnte mich mit meinem eigenen Altwerden versöhnen, mit dem ich zuvor Mühe hatte. Wenn man offen ist, erfährt man spannende Lebensgeschichten.

Was ist der Hauptunterschied zwischen den beiden Jobs?

In der Spitex mache ich vor allem Körperpflege. Creme ich jemanden ein, massiere ich ihm auch noch die Beine und plaudere ein bisschen. Ich geniesse das, weil ich es nicht täglich machen muss. Diese Arbeit ist für mich nicht belastend.

Weshalb?

Ich finde dort weniger komplexe Situationen vor, ich versuche meinen Einsatzplan einfach bestmöglich zu erledigen. Danach gehe ich nach Hause und nehme in der Regel keine Probleme mit.

Was belastet dich denn bei Palliaviva?

Die Verantwortung ist grösser. Manchmal bin ich zu schnellem Handeln gezwungen, erreiche aber den zuständigen Arzt nicht. Ich frage mich später, ob ich im Rahmen des Notfallplans die richtigen Behandlungsschritte in die Wege geleitet habe und ob sie tatsächlich im Sinne des Patienten und seines Umfelds waren.

«Geburt und Sterben sind für mich etwas ganz Intimes. Beides sollte meiner Meinung nach zu Hause stattfinden.»

Was ist denn der Kern dieser Arbeit?

Geburt und Sterben sind für mich etwas ganz Intimes. Beides sollte meiner Meinung nach zu Hause stattfinden. Deshalb arbeite ich auch in der ambulanten Palliative Care. Bei der Geburt meiner Kinder war mir klar, dass ich nicht ins Spital gehe. Denn ich hatte Angst davor, in dieser natürlichen Sache fremdbestimmt zu werden. Dieses Missbehagen spüre ich jetzt auch bei Patientinnen und Patienten. In ihrer Krankheit sind sie einem starken Druck von aussen ausgesetzt. Letztendlich sollte man aber selbst bestimmen können, was wichtig ist.

Was wünschst du dir für Palliaviva?

Dass die Regionalisierung schon überall umgesetzt wäre. Ich arbeite ja neu zusammen mit Margarete Reisinger von Männedorf aus. Wir sind das für das rechte Zürichseeufer zuständige Team. Der ständige Wechsel der Pflegefachpersonen ist für die Patientinnen und Patienten nicht einfach. Ein kleines konstantes Betreuungsteam macht Sinn.

 

Steckbrief

Marianne Unger
59
Ledig, drei erwachsene Töchter
Bei Palliaviva seit 2013

 

Dieses Interview erschien auch im Palliaviva-Jahresbericht 2018.

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