Mit einer Prise äthiopischer Gelassenheit

08.08.18

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Fasziniert von Äthiopien: Unserer Mitarbeiterin Karin Zimmermann wird es warm ums Herz, wenn sie nur schon an das Land im Nordosten Afrikas denkt (Bilder: Karin Zimmermann).

Karin Zimmermann, unsere neuste Mitarbeiterin, widmet sich auch in ihren Ferien schwerkranken Menschen. Sie setzt sich in einem medizinischen Projekt in Nordäthiopien für eine bessere Behandlung von Krebspatientinnen und -patienten ein. Die Erfahrungen, die sie in Afrika gemacht hat, führten zu ihrem Entscheid, in ihrer Heimat in der spezialisierten ambulanten Palliative Care zu arbeiten. In diesem Blogbeitrag gibt sie ihre persönlichen Eindrücke und Gedanken wieder.

Von Karin Zimmermann

Der Duft nach Kaffee und Weihrauch steigt mir in die Nase, in der Ferne höre ich die Gebete aus der christlich-orthodoxen Kirche, ich sehe mit Getreidesäcken beladene Esel zwischen den Bajajs (motorisierte Dreiräder aus Indien) inmitten vieler Menschen. Ich bin wieder da, in einem Land, das so anders ist, als alles mir Bekannte. Ein fremder Ort, der mir mit jedem Besuch ein kleines Stück näher rückt und mich bis ins Innere immer wieder aufs Neue berührt.

Vor zwei Jahren absolvierte ich den ersten mehrmonatigen Einsatz als Pflegefachfrau im nordäthiopischen Gondar. Seither war ich mehrmals dort. Per Zufall stiess ich auf den Verein BEZA, welcher 2015 vom Onkologen und Palliativmediziner Daniel Rauch gegründet wurde. Der Verein unterstützt den Aufbau eines Krebszentrums im Universitätsspital Gondar, vor allem indem er das dortige medizinische Personal ausbildet. Einerseits werden Praktikumsmöglichkeiten für angehende Krebsspezialistinnen und -spezialisten in der Schweiz geschaffen, und andererseits gehen freiwillige Ärztinnen, Ärzte und Pflegefachpersonen vor Ort, um ihr Wissen der Kultur angepasst weiterzugeben.

Es stimmt mich nachdenklich, dass dem grössten Teil der Erdbevölkerung der Zugang zu lebensrettenden oder lindernden Therapien oft verwehrt bleibt.

Die äthiopische Regierung erkannte vor einigen Jahren, dass ein einziges Krebszentrum in der Hauptstadt Addis Abeba bei stark steigenden Krebsdiagnosen niemals ein Land mit mehr als 100 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern versorgen kann. Wartezeiten für eine Chemotherapie in Addis Abeba betragen mehrere Monate; um eine Bestrahlung zu erhalten, muss man sich oft bis über ein Jahr gedulden. Bisher wird einzig in der Hauptstadt die Radiotherapie durchgeführt. Die Regierung hat zwar weitere Bestrahlungsmaschinen für Spitäler in anderen Landesteilen bestellt, jedoch fehlt es an einer guten Planung, damit diese zeitnah in Betrieb genommen werden können. Die derzeitige Diskussion in der Schweiz bezüglich der hohen Therapiekosten in der Onkologie lässt erahnen, dass so viele Medikamente dem äthiopischen Onkologen nur aus der Fachliteratur bekannt sind. Es stimmt mich nachdenklich, dass dem grössten Teil der Erdbevölkerung der Zugang zu lebensrettenden oder lindernden Therapien oft verwehrt bleibt.

Trotz der vielen traurigen Tatsachen, wirds mir warm ums Herz, sobald ich mich dem äthiopischen Boden näher fühle. Die Herzlichkeit der Menschen fasziniert mich, die Einfachheit der Mehrheit der Bevölkerung lässt mich Vieles in unserer materialistisch geprägten Industriewelt hinterfragen und hiesige Probleme relativieren. In Äthiopien spielt die Religion eine tiefverankerte Rolle und wird intensiv im Alltag gepflegt in Form von Festen, Ritualen und Gebeten. Rund um Gondar prägt vor allem die christlich-orthodoxe Religion das Leben. Es ist aber auch keine Seltenheit, die muslimische Frau mit Kopftuch plaudernd mit ihrer Freundin, die in weiss gekleidet ist und ein Kreuz auf ihre Stirn gemalt hat, anzutreffen.

Vor allem in ländlichen Gegenden besuchen kranke Menschen häufig zuerst das sogenannte «heilige Wasser» und traditionelle Heiler, bevor die Schulmedizin zum Zuge kommt.

Am ersten Tag während den ersten Schritten im Spitalgelände nahm ich mir vor, keine Vergleiche anzustellen, mir bewusst zu sein, dass mein westlich geprägtes Denken Vieles nicht verstehen kann und muss, mich einzulassen auf das, was ist und Wertungen nur vorsichtig anzubringen. Erwartungen können zu Enttäuschungen führen. Ich durfte sehr vieles von den Äthiopierinnen und Äthiopiern lernen. So gibt es seither Situationen, in welchen mich eine äthiopische Gelassenheit stärkt. Mir begegneten extreme Gegensätze von totaler Unzuverlässigkeit zu extremer Zuverlässigkeit, von einer schlichten Einfachheit zu einer unverständlich komplizierten Bürokratie, von endloser Gastfreundlichkeit hin zu der Erwartung, dass der Ausländer nur zu geben hat, vom klappernden Pferdewagen zum modernen Geländewagen …

Diese Auslandserfahrung hat mich auch bewogen, den Schritt von der Onkologie in die Palliative Care zu wagen. In Äthiopien kommen Patienten und Patientinnen oft erst mit weit fortgeschrittenen Krebserkrankungen ins Spital. Vor allem in ländlichen Gegenden besuchen kranke Menschen häufig zuerst das sogenannte «heilige Wasser» und traditionelle Heiler, bevor die Schulmedizin zum Zuge kommt. Zudem sind Wege ins nächstgelegene Spital meist weit und verursachen Kosten. Bei Diagnosestellung ist deshalb die Krankheit oft schon in einem fortgeschrittenen Stadium. Auch ist das notwendige Medikament nicht zwingend in der öffentlichen Apotheke verfügbar, und Patientinnen und Patienten müssen es zum Teil selbst bezahlen. Die Kosten trägt hier meist die Familie. Versicherungssysteme stecken in den Kinderschuhen. Ohne die Angehörigen wäre die Behandlung nicht nur finanziell, sondern auch ganz praktisch unmöglich. Während des Spitalaufenthalts sind diese auch für Körperpflege und Essen verantwortlich.

Zu Hause wird er wohl ohne schmerzlinderndes Medikament verstorben sein.

Immer ist jemand da und kümmert sich. Der Familienzusammenhalt ist sehr stark und Fürsorge selbstverständlich. Wenn aber keine Aussicht auf Besserung da ist, dann nimmt die Familie den erkrankten Menschen mit nach Hause und umsorgt ihn. Das Bild des 23-jährigen, schwachen Mannes, der über Nacht von seiner Familie nach Hause gebracht wurde, weil diese die Hoffnung auf Heilung aufgegeben hatte, geht mir nicht aus dem Kopf. Er litt nach meiner Interpretation an starken Bauchschmerzen. Obwohl er dies nicht verbalisierte, sah ich seine schmerzverzerrten Gesichtszüge. Zu Hause wird er wohl ohne ein schmerzlinderndes Medikament verstorben sein. Einerseits bewunderte ich diesen Umgang, andererseits tat mir die Vorstellung weh, was diese Menschen ertragen müssen. So wurde für mich das Symptom Schmerz ein wichtiges Thema, das ich mit den Pflegefachpersonen oft diskutierte.

Nach dieser und ähnlichen Erfahrungen lag es nahe, dass ich mich in der häuslichen Betreuung von Patientinnen und Patienten, die an einer unheilbaren Krankheit leiden, einsetzen wollte. Dies erst mal in meiner bekannten Welt, wo so Vieles schon möglich ist. In den ersten Monaten bei Onko Plus fiel mir ebenfalls auf, wie wichtig auch hier Familie und Freunde in der Betreuung von schwerkranken Menschen sind. Es beeindruckt mich, was Angehörige auch in der Schweiz für ihre Liebsten tun. Als Fachperson Zugang zu Mittel und Medikamente zu haben, welche bei lästigen Symptomen Linderung verschaffen, ist sehr befriedigend. Ich träume davon, dass auch Menschen in Ländern wie Äthiopien Zugang zu mehr symptomlindernden Massnahmen erhalten, dass Menschen nicht an einer behandelbaren Erkrankung versterben müssen.

Der Verein Beza setzt sich weiter dafür ein, damit mein Traum – oder mindestens Teile davon – ein wenig wahrer werden.

Karin Zimmermann (36) ist diplomierte Pflegefachfrau HF. Sie hat sich in Oncological Care und zur Breast Care Nurse weiterbilden lassen und vor Jahren einen Tropenkurs absolviert. Als Breast Care Nurse ist sie neben ihrer Arbeit bei Onko Plus ebenfalls tätig. Sie kommt aus Langenthal und lebt in Zürich.

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