«Bücher helfen mir in der Trauer»

07.10.25

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Porträt von Katrin Zbinden.

Katrin Zbindens Mann Bruno starb im April 2024. Für die Verarbeitung ihrer Trauer hat sie im Lesen einen Weg gefunden. Und mehr noch: Sie schreibt Buchrezensionen und führt eine Liste mit Trauerliteratur. Diese stellt sie im Palliaviva-Blog zur Verfügung.

Sie nennt es den «Verlust ihres Lebensmenschen»: Bruno, Katrin Zbindens Partner, starb acht Monate nach der Diagnose Hirntumor. Acht Monate sind ihnen geblieben, um Abschied zu nehmen, letzte gemeinsame Momente zu erleben und zu geniessen, um das Wichtigste zu besprechen und zu erledigen. Heiraten gehörte dazu. Einen Monat nach der Diagnose fand die Hochzeit statt – belastet und traurig, aber auch mit Momenten der Freude im Kreis der Familie und mit Freundinnen und Freunden.

Katrin Zbinden ist eine Person, die immer viel gelesen hat. Auf ihrem Wohnzimmertisch zu Hause an der Limmat liegt ein Stapel mit Büchern. Sie erinnert sich, dass ihre Mutter sie schon im Kindergartenalter in die Bibliothek mitnahm. «Ich war immer interessiert an Literatur und habe übers Lesen viel verarbeitet», sagt die heute 50-Jährige in der neuesten Folge des Palliaviva-Podcasts. Später machte sie ihre Leidenschaft zum Beruf und lernte Verlagsbuchhändlerin.

Während der Krankheit ihres Mannes war alles anders: «Lesen war plötzlich nicht mehr Teil meiner Welt, ich fand die Ruhe nicht mehr. Mein Kopf war voll mit dieser Krankheit, Ängsten und dann auch mit dem Abschiednehmen.» Nach dem Tod ihres Mannes überrollte sie die Trauer wie eine Welle. Mit Wucht habe sie die Trauer überfallen, erinnert sie sich. Geblieben ist eine tiefe Wunde, die «wahnsinnig weh tut».

Lesen als innerer Dialog

In der Zeit danach aber fand sie zu den Büchern zurück. «Ich merkte beim Lesen, dass ich gar nicht allein bin.» Sie begann, bewusst nach Schriftstellerinnen und Schriftstellern zu recherchieren, die über den Tod und die Trauer schreiben  – nicht nach Ratgebern, sondern nach wahren Geschichten, nach Erlebnissen von Menschen, die Ähnliches erlebt haben wie sie selbst. «Bücher wurden mein Gegenüber, nachdem es bei mir zu Hause ruhiger geworden war», sagt sie. In der Literatur habe sie einen Ort des Dialogs gefunden.

Katrin Zbinden entdeckte für sich, dass ihr das Lesen in dieser schweren Zeit der Trauer hilft, das Geschehen einzuordnen. Und sie merkte auch: «Damit ich das überhaupt verstehen und verarbeiten kann, muss ich darüber schreiben. Daraus sind die kurzen Buchrezensionen entstanden.» Das allein aber reichte ihr nicht: Sie wollte die Besprechungen auch anderen Menschen zugänglich machen. Also stellte sie eine Literaturliste zusammen.

Mit diesem Angebot wandte sie sich vor einiger Zeit an Palliaviva. In ihrem E-Mail schrieb sie: «In meinem Lesen habe ich einen Weg gefunden, meine Gedanken und Gefühle zu ordnen. In kurzen Buchrezensionen verarbeite ich, was mich bewegt.» Die Liste und die laufend wachsende Sammlung an Buchrezensionen sind ab sofort im Palliaviva-Blog zu finden.

Katrin Zbinden möchte damit einem Bedürfnis anderer Menschen entgegenkommen. Sie sagt: «Meine Erfahrung ist, dass Bücher in traurigen Verlustmomenten helfen können. Ich hoffe, dass die Literatur, die ich bespreche, auch für andere Leserinnen und Leser tröstend ist.» Die Bücher, die sie liest und rezensiert, wurden aus unterschiedlichen Perspektiven geschrieben: von Angehörigen, von Erkrankten selbst, von Hinterbliebenen.

Cover des Buches von Olga Martynova: Gespräch über die Trauer

Katrin Zbindens Lieblingsbuch in dieser Zeit.

Abschied von grossen Träumen

Im Leben von Katrin Zbinden und ihrem Mann sind mit der Diagnose viele Träume in sich zusammengefallen. Ein Plan, der schon konkret gereift war, bestand darin, am Rand der Schweiz oder in Frankreich ein kleines Haus zu kaufen und sich dort mit Tieren niederzulassen. Beide hatten bereits ihre Arbeitsstellen gekündigt. Katrin Zbinden dachte, sie würde irgendwann später wieder in einem kleinen Pensum zu arbeiten beginnen. Er war elf Jahre älter als sie und beabsichtigte, in Frühpension zu gehen.

Im August 2023 lösten sich diese Ideen in Luft auf. Sie hatte nach der Kündigung Zeit, sich um ihren Mann zu kümmern, was für sie ein Geschenk war. Die Krankheit schritt rasch voran, und von Anfang an waren Familie, Freundinnen und Freunde da. Ab Oktober musste ihr Mann in die Bestrahlung, wohin er immer in Begleitung gehen wollte. Jeden Tag, fünf Wochen lang, ging eine Person mit ihm. «Im Universitätsspital Zürich empfahl man uns, mit der spezialisierten Palliativ-Spitex Kontakt aufzunehmen», erzählt sie im Podcast. So lernte sie Palliaviva kennen. Später, als die Sterbephase begann, kam drei Mal eine Nachtwache ins Haus.

«Ohne all diese Hilfe wäre es zu Hause nicht gegangen», hält Katrin Zbinden fest. «Palliaviva brachte vor allem Ruhe und Sicherheit – und in dieser hoffnungslosen Situation auch Zuversicht.» Zudem schätzte sie konkrete Unterstützungsmassnahmen: Das Palliaviva-Team vermittelte einen Rollstuhl, als es nötig wurde, und half ihr, ein Pflegebett zu organisieren. «Als der Sterbeprozess näherkam, haben uns die Palliaviva-Mitarbeitenden angeleitet und uns an der Hand genommen.»

Was hilft ihr heute, neben der Literatur, den Alltag zu bewältigen? Sie schöpfe Kraft aus der Natur, erklärt Katrin Zbinden, und ihr Umfeld sei eine grosse Unterstützung. «Und Dina, meine Hündin, ist wichtig. Mit ihr laufe ich täglich rund zehn Kilometer, und sie gibt mir nach Brunos Tod eine Tagesstruktur.»

Den Podcast mit Katrin Zbinden kann man hier anhören. Die Literaturliste ist hier zu finden. Die Bücher, die Katrin Zbinden besprochen hat, sind mit den jeweiligen Rezensionen im Palliaviva-Blog verlinkt. Die erste Rezension findet sich hier.

Katrin Zbinden ist ehemalige Verlagsleiterin einer Architekturzeitschrift und arbeitet heute freiberuflich für die Stiftung Architektur Schweiz und das Architekturstudio Camponovo Baumgartner.

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