«Ich merke, dass ich Frieden schliessen kann»

21.05.24

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Porträt von Barbara Brandenberg

Sie wird in losen Abständen vom Palliaviva-Team zu Hause besucht: Barbara Brandenberg. (Bild: Privat)

Barbara Brandenberg leidet an einer äusserst seltenen Lungenkrankheit. Sie ist Mitte 50 und damit eine der jüngeren Patientinnen, die von Palliaviva begleitet werden. Die Frage einer Transplantation beschäftigt sie immer wieder.

Barbara Brandenberg musste sich schon früh mit der Endlichkeit ihres Lebens auseinandersetzen. Mit Anfang 30 erhielt sie eine niederschmetternde Diagnose, seither ging es mit ihrer Gesundheit abwärts. Heute kommt sie nicht mehr ohne zusätzlichen Sauerstoff aus.

Tag und Nacht trägt sie eine sogenannte Sauerstoffbrille, die ihr durch zwei Schläuchlein permanent Sauerstoff in die Nase zuführt. Die Schläuchlein sind an einem Sauerstoffkonzentrator angeschlossen, den sie mit einer Art Trolley, ähnlich einem Rollkoffer, mitnehmen kann, wenn sie unterwegs ist. Sie probiert, draussen täglich etwas bergab zu spazieren, das geht einfacher als bergauf.

Barbara Brandenberg ist Mitbesitzerin eines Coiffeurgeschäftes am Zürichsee. Etwa zwei Mal pro Woche geht sie ins Geschäft, das 14 Angestellte beschäftigt. Sie unterstützt die Lernenden und hilft im Marketing mit. Oft trifft sie sich mit Freundinnen zum Kaffee. Einmal pro Woche besucht sie die Physiotherapie oder die Osteopathie, ebenfalls einmal wöchentlich absolviert sie eine Medizinische Trainingstherapie für Koordination, Beweglichkeit und Kraft, und sie macht die Übungen auch zu Hause.

Das Gespräch mit Barbara Brandenberg gibt es hier als Podcast zu hören.

Frau Brandenberg, was ist genau diese Krankheit, an der Sie leiden, und seit wann wissen Sie es?

Ich leide an einer sehr seltenen Lungenerkrankung, die nur Frauen haben können. Sie ist hormonell bedingt und nennt sich Lymphangioleiomyomatose. In der Schweiz gibt es lediglich 20 bis 25 betroffene Frauen. Dieses Krankheitsbild behandeln meines Wissens nur die Universitätsspitäler Lausanne und Zürich. Leider gibt es keine Medikamente dagegen und auch keine Heilmethode. Helfen würde einzig eine Lungentransplantation, was hingegen eine sehr, sehr grosse Operation ist, die mir schon immer viel Respekt eingeflösst hat. Bei mir war es eine Zufallsdiagnose: Ich hatte 2001, als gut 30-jährige Frau, von einem Tag auf den anderen eine Stimmbandlähmung, ich war ganz heiser beim Reden. Nach ein paar Tagen suchte ich meinen Hausarzt auf, der mich an einen Hals-Nasen-Ohren-Spezialisten überwies. Das linke Stimmband war vollständig gelähmt. Am Anfang hat mir das noch keine Angst gemacht. Eine Stimmbandlähmung kann man durch einen viralen Infekt einmal bekommen, und innerhalb von drei Monaten ist er wieder weg.

Und bei Ihnen war es nicht so?

Es hat sich wirklich sehr, sehr lange hingezogen. Es hat nicht gebessert, und dazu bemerkte ich, dass ich immer zu wenig Luft hatte zum Atmen. Der Hals-Nasen-Ohren-Arzt fand, man müsse das abklären, und schickte mich zu einem CT. Er wollte wahrscheinlich einfach schauen, ob die Stimmbänder in Ordnung sind. Ich kann mich noch ganz genau erinnern: Ich war dann für dieses CT bei einem Arzt, der sich die Bilder anschaute. Er kam auf den Korridor zu mir raus und fragte mich: «Sind Sie Kettenraucherin?» Ich sah ihn an und sagte: «Wieso? Sicher nicht!» Und dann sagte er mir einfach so ins Gesicht: «Ihre Lunge sieht aus wie die einer 70-jährigen Kettenraucherin.» Ich dachte für mich: «Der hat keine Ahnung von seinem Beruf. Er weiss ja gar nicht, was er redet. Er hat einen Knall.»

Sie konnten es sich nicht vorstellen?

Ich hatte ab und zu für den Genuss geraucht, war aber nie abhängig und habe nie gross Zigaretten gekauft. Ich ging dann wieder zu diesem Hals-Nasen-Ohren-Arzt. Er war ganz aufgebracht und nervös und meinte, ich müsse zu einem Lungenarzt, ich hätte eine Lungenerkrankung, es sehe gar nicht gut aus. Der Lungenarzt bekam dann natürlich die CT-Bilder. Er war ein toller Mensch und sagte nicht wahnsinnig viel. Er sagte nur, er gehe jede Woche am Donnerstag ins Universitätsspital Zürich ans sogenannte «Lungenchränzli». Dort würden sich Pneumologen treffen und meinen Fall besprechen.

Hatte sich die Diagnose zu diesem Zeitpunkt bei Ihnen schon gesetzt? Es handelt sich ja um eine brutale Diagnose, zumal sie schlecht überbracht wurde. Sie wussten, dass das gar nicht gut ist?

Ja, das wusste ich, und der Lungenarzt sagte mir, allein sei er damit überfordert, es sei etwas sehr Seltenes. Gegenüber der Praxis des Lungenarztes befand sich unser Coiffeursalon, wo ich seit 1993 arbeite. Damals war ich noch angestellt, mittlerweile bin ich Mitinhaberin. Ich ging also ins Geschäft und verschob lediglich den Termin der ersten Kundin. Um 10 Uhr musste ich aber zu arbeiten beginnen – mit dieser Diagnose. Ich dachte, das gehe nicht, aber ich wusste auch, dass der ganze Tag ausgebucht ist. Also ging ich arbeiten. Der Coiffeursalon war für mich immer mein Leben. Auch heute ist das meine Welt, dort werde ich gebraucht, da gehe ich auf, das liebe ich einfach. An jenem Abend war ich sogar fähig, wieder zu lachen, zu reden und zu erzählen. Ich wusste, dass etwas Heftiges auf mich zukommt, aber ich wusste auch, dass das Leben weitergeht. Es muss ja weitergehen. Man hat dann eine Biopsie gemacht und rasch herausgefunden, dass es Lymphangioleiomyomatose ist.

Man hat keine Ahnung, woher es kommt.»

Ich gehe davon aus, dass Sie das vorher noch nie gehört hatten? Hat man Ihnen gesagt, was das bedeutet?

Es bedeutet, dass nicht geforscht wird, dass es keine Medikamente gibt. Das Einzige wäre eine Lungentransplantation, und diesbezüglich war für mich immer klar: Das brauche ich nicht. Das war mein Kämpfergeist. Ich fand immer: Das will ich nicht.

Hat man Ihnen gesagt, woher die Krankheit kommt?

Das weiss man bis heute nicht, es ist eine Genveränderung, aber man hat keine Ahnung woher, und es wird meines Wissens auch nicht geforscht. Es ist nicht interessant, und ich denke, es hat auch damit zu tun, dass es eine Frauenkrankheit ist. Ich glaube, es sähe anders aus, wenn diese Krankheit vor allem Männer betreffen würde.

Sie sind jetzt Mitte 50 und verheiratet. Waren Sie damals schon mit ihrem Mann zusammen?

Ja, ich kenne meinen Mann, seit ich 18 bin. Wir haben uns in Griechenland kennengelernt, es war Liebe auf den ersten Blick. Es ist wirklich eine grosse Liebe, heute noch, und ich habe ein Riesenglück mit meinem Mann. Er begleitet mich überallhin. Er hält sich sehr im Hintergrund, aber ich weiss einfach, dass er immer da ist. Die Krankheit ist wie gesagt hormonbedingt, was auch mit sich gebracht hat, dass ich keine Kinder haben durfte. Da die Hormone während einer Schwangerschaft und Geburt stark schwanken, haben sie mir ganz klar gesagt, dass ich keine Kinder haben darf. Ich war damals 33-jährig, und ich hätte extrem gerne Kinder gehabt. Aber ich konnte mich dann auch gut davon lösen. Wir sind viel gereist, es war eine sehr spannende Zeit. Ich nehme auch jetzt noch immer wieder einmal ein Fotoalbum hervor und schaue rein. Seit sich die Krankheit verschlechtert hat, seit 2013, darf ich nicht mehr fliegen. Das war ein ganz harter Schlag für mich.

Das Hauptsymptom ist jetzt also die Kurzatmigkeit. War das schon damals so, und ist es dann schlechter geworden?

Ja genau. Die Krankheit wurde wie gesagt 2001 auf der Lunge, dann aber auch noch auf den Nieren diagnostiziert. Das Gewebe der Lunge und der Nieren ist verändert. Das Lungengewebe ist teilweise abgestorben, die Nieren funktionieren zum Glück wunderbar.

Aber insgesamt hat sich ihr Zustand verschlechtert in dieser Zeit?

Ja, vor allem die Lunge, seit 2013. Wir waren damals an einem Abend in einem Musical in Zürich, als ich plötzlich einen ganz furchtbaren Schmerz verspürte. Es wurde immer schlimmer, und am Schluss konnte ich fast nicht mehr hinausgehen. Ich konnte fast nicht mehr atmen, es tat so weh. Am liebsten wäre ich einfach nach Hause gegangen und hätte die Bettdecke über den Kopf gezogen in der Hoffnung, dass am anderen Morgen alles wieder gut wäre. Aber das war dann leider nicht so. Da hat die Odyssee angefangen. Ich hatte einen grossen Lungenriss, meine Lunge fiel innerhalb einer Stunde ziemlich stark zusammen. Ich bekam eine Drainage und lag ein paar Tage im Universitätsspital Zürich.

Ab diesem Zeitpunkt ging es also abwärts, während Sie vorher ein relativ normales Leben führten?

Wir konnten vorher noch reisen, ich konnte fliegen und bin Ski gefahren. Ich habe sogar mit Rudern begonnen und fuhr Velo. Ich war recht sportlich, und alle hatten eigentlich Freude an mir, weil die Krankheit ja schon recht fortgeschritten war. Dann aber gab es immer wieder Risse. Man verklebte einen Lungenflügel, und ich versuchte, wieder zurück ins Leben zu kommen. Mit sehr grosser Angst allerdings; mit dieser Angst, dass der Schmerz in der Lunge zurückkehrt und ich wieder das Gefühl habe, keine Luft mehr zu bekommen. Tatsächlich gab es erneut Lungenrisse, und ich war zwei oder drei Mal notfallmässig im Spital und im Schockraum. Die Ärzte schauten mich fragend an und schienen zu denken: «Was machen wir nur mit dieser Frau?»

Ich wollte noch so viel erreichen.»

Man hat Ihnen gesagt, eine Lungentransplantation wäre eine Möglichkeit. Haben Sie dies stets ausgeschlossen, oder gab es Überlegungen in diese Richtung?

Es gab Überlegungen. Nachdem ich mehrere Lungenrisse erlitten hatte und auch der andere Lungenflügel verklebt werden musste, sagten mir die Ärzte: «So, Frau Brandenberg, jetzt müssen wir über eine Lungentransplantation reden, und Sie müssen sich bei der IV anmelden.» Das war für mich ganz schlimm, ich stand doch noch mitten im Leben. Ich war 45 oder 46 Jahre alt und wollte noch so viel erreichen. Wir hatten ein neues Geschäft 2014, ich hatte auch ein schlechtes Gewissen meinem Geschäftspartner gegenüber, und ich fühlte mich hilflos. Das war der Zeitpunkt, in dem mir eine Nachbarin von Gott erzählte, von Jesus. Das war für mich nicht einfach, denn ich war immer ein Mensch, der selbstbestimmt lebte. Aber als mich die Ärzte anschauten und nicht mehr weiterwussten, fand ich: «Also gut, jetzt kann ich mein Leben Jesus in die Hände geben. Schlimmer kann es nicht werden.»

Die Lungentransplantation blieb aber trotzdem ein Thema?

Ich hatte mehrere Gespräche mit Ärzten, in denen es um eine mögliche Transplantation ging, aber ich entschied mich dann doch dagegen, weil es mir wieder besser ging. Ich sagte meinem Arzt, im Moment bräuchte ich das nicht. Das war im Oktober 2014. Sieben Tage später kam die nächste Baustelle: Ich entdeckte einen Knoten in der Brust und bekam kurz vor meinem Geburtstag die Brustkrebs-Diagnose. Der Gedanke an eine Lungentransplantation rückte wieder weit weg. Dann kam Corona und darauf, im Jahr 2022, erneut eine schwierige Phase: Wir mussten meine Mutter, die an Demenz litt, in ein Pflegeheim geben, und ich stürzte in eine Depression. Ich konnte nicht mehr essen, nahm stark an Gewicht ab und war wirklich sehr mager, es war beängstigend. Eine Lungentransplantation rückte damit sowieso wieder in den Hintergrund. Meine Mutter ist inzwischen verstorben.

Fünf Jahre nach einer Brustkrebs-Diagnose gilt man, wenn man krebsfrei ist, sozusagen als geheilt. Diese Krankheit ist bei Ihnen also gut verlaufen?

Ich brauchte Gott sei Dank keine Chemotherapie. Die Behandlung bestand aus zwei Operationen, sechs Wochen Bestrahlung und einer Anti-Hormontherapie. Das alles habe ich relativ gut vertragen.

Heute geht es Ihnen wieder besser, Sie haben sich recht gut erholt und wieder an Gewicht zugenommen. Ist eine Lungentransplantation jetzt wieder ein Thema?

Ich habe mich letztes Jahr im August oder September dagegen entschieden – es sprudelte einfach aus mir heraus und war mir ganz klar. Ich kam nach Hause, setzte mich mit meinem Mann hin und sagte: «Ich mag keine Transplantation machen, ich habe keine Energie mehr dafür, das ist mir alles zu viel.» Wir haben beide geweint, aber es war auch gut, das auszusprechen. Ich mag dieses Risiko nicht eingehen und mit diesen Medikamenten leben. Das Leben nach einer Transplantation ist sehr anspruchsvoll.

Hat Ihr Mann Sie sofort verstanden?

Mein Mann denkt wie auch ich, man müsse nicht um jeden Preis am Leben bleiben. Ich bin dankbar für das, was ich habe, ich hatte wirklich ein schönes Leben mit auch einigen sehr schwierigen Phasen. Leute, die mich kennen, sagen oft, ich sei noch immer so lebendig, und das sind wertvolle Schätze, die ich in mir habe, und dieser wertvolle Mensch, den ich schon so viele Jahre an meiner Seite habe, das ist ein Riesengeschenk. So bin ich auch zu Palliaviva gekommen: Ich habe einfach gemerkt, dass ich jetzt Leute brauche, die mich unterstützen können. Man lernt mich und mein Krankheitsbild jetzt kennen, mich als Menschen, und ich habe gute, liebenswürdige Fachkräfte an meiner Seite. Es kann auch sein, dass ich mich doch noch für eine Transplantation entscheide, das ist nicht in Stein gemeisselt.

Dann gibt es auch wieder Türen, die sich öffnen.»

Können Sie noch kurz ausführen, wie Ihr Alltag eingeschränkt ist durch den Sauerstoff, den Sie immer dabeihaben müssen?

Den mobilen Sauerstoffkonzentrator ziehe ich auf einem kleinen Wagen hinter mir her. Wenn ich mich draussen bewege, schauen mich die Leute an. Das war am Anfang schwierig, aber inzwischen weiss ich, dass ich angeschaut werde, weil man das nicht häufig sieht. Ich lächle dann zurück, das geht eigentlich gut. Das zu lernen, war schwierig: Wenn es einem selber nicht gut geht und man mit dem Sauerstoff und der Sauerstoffbrille raus muss, dann genügt es, dass einen zwei, drei Leute anschauen, und man möchte am liebsten wieder nach Hause. Damit musste ich Frieden schliessen, und jetzt sage ich mir, dass ich dafür immerhin noch unter die Leute gehen und einiges unternehmen kann.

Das Palliaviva-Team kommt in etwas grösseren Abständen zu Ihnen als zu anderen Patientinnen und Patienten, da Sie im Moment zum Glück eine stabile Phase haben. Was ist Ihr Wunsch für die Zukunft? So lange wie möglich zu Hause zu bleiben?

Ja klar, so lange wie möglich hierbleiben, aber ich muss auch sagen, wenn es zu schwierig wird für meinen Mann und auch für mich, dann müssen wir einen anderen Weg finden. Dann gibt es auch wieder Türen, die sich öffnen, das weiss ich.

Sie waren eine sehr eigenständige Frau. Nun müssen Sie die Kontrolle wegen der Krankheit abgeben. Wie gehen Sie mit der Aussicht um, dass es nicht besser, sondern immer schlechter wird?

Ich versuche, mich auch hier auf die Bibel zu stützen, die sagt: «Lebe jeden Tag so, wie er ist, und sorge dich nicht um morgen.» Ich weiss, dass es nicht schön wird, aber ich glaube, das ist jetzt der Weg. Ich habe Palliaviva und viele andere Leute um mich, die mich begleiten. Ich bin ein vertrauensvoller Mensch und musste die Kontrolle ja jetzt schon, auch im Spital, immer wieder abgeben. Grundsätzlich bin ich schon eher ein Kontrollfreak, und ich sage dann schnell mal: «Ich möchte noch das und das», und das nervt auch meinen Mann manchmal. Das ist dann nicht immer so lustig. Ich habe mir aber schon immer gesagt, dass ich keine aggressive, hässige, alte und kranke Frau werden möchte. Ich möchte herzlich und dankbar sein den Leuten gegenüber, die ich um mich habe.

Sie sagen, Sie wüssten, dass es nicht schön werde. Aber Sie haben doch das Vertrauen, dass Sie nicht leiden müssen?

Das hoffe ich wirklich sehr. Ich wollte ganz vieles von dem, was jetzt eingetroffen ist, nicht haben. Aber ich merke, dass ich Frieden schliessen kann. So ist das Leben.»

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