«Ich bin in einer Dreiecksbeziehung mit dem Tod»

17.03.24

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Milena Moser vor ihrem Schreibschuppen in San Francisco. (Foto: Barak Shrama)

Milena Moser vor ihrem Schreibschuppen in San Francisco. (Foto: Barak Shrama)

Die Schweizer Autorin Milena Moser lebt seit zehn Jahren mit ihrer grossen Liebe Victor-Mario Zaballa – aber auch mit der ständigen Bedrohung durch seine fragile Gesundheit. An ihrem Wohnort San Francisco hat Palliative Care einen recht hohen Stellenwert.

«Schon viele Male haben mir Ärzte gesagt, ich müsse mich jetzt aufs Schlimmste gefasst machen», sagt Milena Moser. Nie trat «das Schlimmste» ein, obschon Victor-Mario Zaballa, ihr Mann, nicht nur an einer, sondern an mehreren schweren Krankheiten leidet. Seine Krankengeschichte, die ein ewiges Auf und Ab ist, würde ein halbes Buch füllen.

Auf die Frage nach seiner Gesundheit will ihre Aufzählung fast nicht mehr aufhören: «Er erlitt in der Vergangenheit ein Nierenversagen, war acht Jahre lang auf Dialyse angewiesen, erhielt eine Niere transplantiert und fiel dann ins Koma aufgrund falsch dosierter Medikamente. Zudem hat er einen Herzfehler, der viele Jahre nicht richtig behandelt wurde, er erlitt einen Herzinfarkt und mehrere Schlaganfälle und nimmt jeden Tag 18 verschiedene Medikamente mit den üblichen Nebenwirkungen. Und nun hat er auch noch Krebs.» Der Krebs lasse sich zurzeit aber in Schach halten.

Immer wieder Notfälle

«Ich bin seit zehn Jahren in einer Dreiecksbeziehung mit dem Tod», sagt Milena Moser. Die Belastung in ihrem gemeinsamen Alltag ist zwangsläufig gross. Und sie ist immer wieder auch Thema in ihren Texten. Milena Moser schreibt eine wöchentliche Kolumne im Sonntagsblick-Magazin, in der sie aus ihrem Alltag in San Francisco erzählt, und sie ist Autorin von 24 Büchern. Ihr neuestes Werk «Der Traum vom Fliegen» ist im Herbst erschienen.

Milena Moser sagt von sich, sie leide wohl mehr als ihr Mann unter der stetigen Anspannung, nie zu wissen, wann bei ihm der nächste Notfall eintreffe. Und Notfälle gab es in der Vergangenheit schon viele. Seit einiger Zeit fahren die beiden darum nicht mehr weit weg. Kürzere Ausflüge an die nahe Küste dagegen geniessen sie sehr, stets mit der Gewissheit, dass die Notfallstation des Universitätsspitals in San Francisco rasch erreichbar wäre.

«Man kann nichts planen», sagt sie, sieht darin aber durchaus auch Positives. Jeder Lifecoach oder Selbsthilfe-Ratgeber empfehle einem ja, im Hier und Jetzt zu leben und nichts hinauszuschieben. Genau dazu sei sie gezwungen und lerne es jeden Tag mehr. «Das ständige Leben mit dem Tod ist aber auch enorm aufreibend, und es erschöpft mich», räumt Milena Moser ein. «Ich lebe seit zehn Jahren in einem Ausnahmezustand.»

Was kommt nach dem Tod?

Victor Zaballa habe allein schon aufgrund seiner Herkunft und seines kulturellen Hintergrundes einen anderen Umgang mit den Krankheiten gefunden, erzählt sie. «Jedes Mal, wenn die grösste Krise vorbei ist, schüttelt er das Erlebte ab wie ein nasser Hund.» Sie führt diese Haltung unter anderem auf seine mexikanische Herkunft zurück, auf die schamanische Tradition, in der er aufgewachsen ist. «Er geht davon aus, dass das Leben nach dem Tod sehr viel schöner wird.»

Der Tod sei in seinem Alltag immer irgendwie dabei, betont sie. «Er sagt, es wisse ja niemand, was nach dem Tod passiere. Warum also nicht einfach das Beste annehmen?» Sie als protestantischer Zürcherin habe diese Auffassung ziemlich stark beeindruckt. Und darüber, dass er im Jenseits die 1934 geborene, italienische Schauspielerin Sophia Loren bezirzen wolle, könnten sie beide herzlich lachen. Wobei unter der Oberfläche dann immer auch schwere Gedanken mitschwingen würden. «Wenn er von Sofia Loren spricht, weiss ich, dass er übers Sterben nachdenkt.»

Besuch von der Palliative-Care-Nurse

Milena Moser sagt, Palliative Care sei an ihrem Wohnort San Francisco ein recht präsentes Thema, und es gebe ein paar gute Palliativzentren. Durch die HIV-Krise in den achtziger Jahren sei Palliative Care gerade in San Francisco, einer damals sehr liberalen Stadt, ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt. In den übrigen USA tue man sich aber wohl ähnlich schwer mit dem Tod wie in anderen westlichen Gesellschaften.

«Victor hat sogar regelmässigen Kontakt zu einer Palliative-Care-Nurse, einer spezialisierten Pflegefachfrau, die ihn zu Hause besucht», ergänzt Milena Moser und schmunzelt, als sie ausführt, wie es dazu kam: «Eigentlich hätte er eine Augenoperation gebraucht», erzählt sie. Da die Krankenkassen in den USA aber durch Künstliche Intelligenz (KI) gesteuert würden, habe man ihm diese OP anfänglich nicht bezahlen wollen. «KI stufte ihn aufgrund seiner Krankengeschichte als sterbenden Patienten ein.»

Den Betrag für die Operation schossen Milena Moser und einige Freunde schliesslich vor, und zurzeit ist Victor Zaballas Gesundheitszustand stabil. Die Autorin selber, die letztes Jahr 60 geworden ist, verspürt eine grosse Lebenslust: «Ich empfinde es jeden Tag als Privileg, gesund und ohne Schmerzen älter zu werden. Ich habe noch so viele Geschichten, die ich gerne erzählen würde!»

Das ganze Gespräch gibt es hier als Podcast zu hören.

Bücher von Milena Moser:

  • Der Traum vom Fliegen, Verlag Kein & Aber (2023) ISBN: 978-3-0369-5009-9
  • Mehr als ein Leben, Verlag Kein & Aber (2022), ISBN: 978-3-0369-5872-9
  • Das schöne Leben der Toten, Verlag Kein & Aber (2019) ISBN: 978-3036958187

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