«Ich beschloss, es allen zu zeigen»

11.05.22

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Weshalb sich eine Patientin gegen einen grossen medizinischen Eingriff entscheidet, der ihr Lebensverlängerung versprochen hätte. Palliaviva-Patientin Daniela Kurjacki (45) erzählt.

«Mein Bauchgefühl hat von Anfang an Nein gesagt zur Lungentransplantation. Ich habe mich trotzdem auf die Vorbereitungsphase eingelassen, habe zum Beispiel Gespräche mit lungentransplantierten Menschen geführt. Klar, sie sagen, dass ihnen Lebenszeit geschenkt wurde. Gleichzeitig müssen sie zwischen 30 und 50 Tabletten pro Tag schlucken. Ich hab nur schon Mühe, täglich ein Medikament pünktlich einzunehmen. Bei einigen musste aufgrund des grossen Medikamentenkonsums in der Folge die Niere oder die Leber transplantiert werden.

Meine Lunge hat so viel gemacht für mich, so viel gekämpft. Ich kann sie jetzt nicht einfach opfern. Diese Wegwerfmentalität ist mir fremd. Ja, mein Körper wendet sich mit der systemischen Sklerose, einer Autoimmunkrankheit, gegen sich selbst. Meine Überzeugung ist aber, dass jede Krankheit uns etwas sagen will. Meine kranke Lunge ist ein Zeichen für eine Blockade. Als mir das bewusst wurde, beschloss ich, nicht mehr so viele Belastungen hinunterzuschlucken, nicht mehr nur für die anderen zu schauen, ständig zu arbeiten, zu funktionieren. Ich kümmere mich seither besser um mich, sage auch mal Nein. Ich habe diesen Push gebraucht, um so zu leben, wie ich jetzt lebe. Bewusster, intensiver, mit einem Blick auch für die kleinen Dinge des Lebens.

Die Konzentration auf Defizite kann sich manifestieren und zur Wirklichkeit werden, davon bin ich überzeugt.»

Ich hatte als Kind schon Probleme mit der Lunge, hatte ständig Lungenentzündungen oder Krupp. Mein Lungenleiden motivierte meine Eltern von Kloten nach zu Davos ziehen. Wir alle haben uns immer auf das Negative konzentriert, gedacht und gesagt, dass meine Lunge ein Problem ist. Die Konzentration auf Defizite kann sich manifestieren und zur Wirklichkeit werden, davon bin ich überzeugt, auch wenn das esoterisch klingen mag. Natürlich spielen bei einer Krankheit auch noch andere Ursachen rein, zum Beispiel die Gene.

Ich ging vor vierzehn Jahren nur zum Arzt, weil mich meine Freundinnen dazu drängten. Ich merkte schon, dass etwas nicht stimmte, hatte Mühe mit Atmen. Der Arzt sagte mir, meine Lunge sehe aus wie ein Schlachtfeld, er müsse mich überweisen. Ich vermutete, dass es etwas Schlimmes ist. Die Diagnose lautete Lungenfibrose (eine Folge meiner Grunderkrankung), und sie gaben mir noch zwei, drei Jahre zu leben. Als mir klar wurde, dass ich dem Tod in die Augen sehe, dachte ich zuerst nur an meine drei Kinder, vor allem an Euginia. Die Mutter meiner Adoptivtochter starb, als diese erst zwei Jahre alt war. Ich dachte: Es darf einfach nicht sein, dass sie nochmals ein Mami verliert. Ich brauchte eine Woche, um wieder Mut zu fassen. Aber ich haderte nie mit meinem Schicksal, dachte nie: Warum ich?

Der Lunge gut zureden

Ich beschloss im Gegenteil, es allen zu zeigen. Eine hartgesottene Draufgängerin war ich schon immer gewesen, schon früher als Snowboarderin oder Mountainbikerin. Ich begann mit meinem Körper zu sprechen, gab den Organen einen Namen. Meine Lunge nenne ich Frieda. Wenn sie mal Mühe hat, frage ich sie: Was brauchst du, damit es dir besser geht? Ich spreche ihr gut zu, wie ich es zu einer Freundin tun würde. Ich begann mich mit Kräuterkunde zu beschäftigen, mit Meditation, mit Yoga, entdeckte meine spirituelle Seite. Ich las viel über Krankheitsverarbeitung. Zuerst muss man eine Krankheit annehmen und dann entscheiden, was man daraus macht. Ich würde sagen: 90 Prozent ist mentale Arbeit, vieles ist Kopfsache und feinstofflicher Natur.

Mein Weg gab mir recht, ich lebe schon vierzehn Jahre mit der schweren Diagnose. Ein Arzt fragte mich einmal, ob ich eigentlich wisse, wie schwer krank ich sei. Ich bin schon realistisch, ich weiss, was ich habe, aber ich möchte es nicht verbalisieren, sondern mich im Gegenteil positiv aufs Leben einstellen. Die Ärzteschaft versuchte mich mehrmals von einer Lungentransplantation zu überzeugen – natürlich auch, um sich selbst abzusichern. Lästig fand ich das nie. Ich hatte es mit den Behandlungsteams immer gut, konnte meist auf Augenhöhe diskutieren. Nur bei einem einzigen, höher gestellten Arzt war es so, dass er sich mein Nein zur Transplantation anhörte – und sich seither nie mehr blicken liess.

Meine Familie reagierte unterschiedlich auf die abgelehnte Transplantation. Mein Mami verstand es sofort. Für meine Kinder war das Thema vom Tisch, nachdem ich ihnen meine Entscheidung erklärt hatte. Zwei Freundinnen aber hatten lange Mühe damit.

Mich stört, dass in der Gesellschaft alles, was aus der Norm fällt, negativ bewertet wird, zum Beispiel in der Schule. Seien wir ehrlich: Kasperli bekäme doch heute Ritalin.»

Mein Mut wurde mir in die Wiege gelegt. Ich war schon immer eine Rebellin, habe immer das Gegenteil von dem gemacht, was verlangt wurde. Meine Eltern führten ein Restaurant, und ich war oft auf mich alleine gestellt, zudem war ich ein Einzelkind. Ich wollte beachtet werden und auffallen. Ich störe mich daran, dass in der Gesellschaft alles, was aus der Norm fällt, negativ bewertet wird, zum Beispiel in der Schule. Seien wir ehrlich: Kasperli bekäme doch heute Ritalin.

Ich habe eine Lehre zur Zugbegleiterin gemacht, obwohl Kosmetikerin mein Traum gewesen wäre. In diesem Beruf waren die Lehrstellen jedoch rar. Nach der Ausbildung arbeitete ich als Verkäuferin, im H&M und später im Body Shop. Ich wurde Pflege-Mutter und arbeitete auch als Assistentin im Kindergarten, was ein riesen Gaudi war. Zu den speziellen Kindern, eben zu jenen, die aus dem Raster fallen, hatte ich stets einen guten Draht.

Ich habe in meiner Jugend wirklich Gas gegeben. Meine Eltern arbeiteten wie verrückt, um mir alles zu ermöglichen. Ich wurde ja am Berg gross, konnte vor der Haustüre snowboarden, hatte das Haus immer voller Freunde. Im Gegenzug fehlte mir manchmal Geborgenheit, ich hätte gerne mal über Mittag eine Umarmung erhalten. Deshalb bin ich vermutlich eine Glucke geworden. Meine Kinder sagen, ich solle auch mal weggehen, sie wollten auch mal sturmfrei haben. Jedenfalls bin ich froh, so intensiv gelebt zu haben, weil mein Leben jetzt durch meine Krankheit begrenzt wird. Gleichzeitig weiss niemand, wie lange er noch zu leben hat. Du könntest auch morgen von einem Auto überfahren werden.

Achtsamkeit, Spiritualität, Neugierde

Ich bin demütig und dankbar für die Zeit, die mir geschenkt wurde. Im Nachhinein geben mir alle recht. Deine Intuition sagt dir schon, was dir guttut. Ich habe altes Wissen ausgegraben und meinen Körper beobachtet, habe zum Beispiel Tagebuch darüber geführt, welche Nahrung mir bekommt, Erdbeeren oder Tomaten, die ich liebe, vertrage ich gar nicht. Seit ich praktisch auf Milchprodukte und Fleisch verzichte, geht es mir einfach besser. Dazu kommen die  ökologischen und ethischen Gründe. Ich bin nicht puristisch oder extrem, esse auch mal Feta, wenn ich Lust dazu habe, wir besitzen auch ein Ledersofa. Als ich vegan wurde, war das Thema noch nicht trendy. Ich glaube, ein achtsamer Umgang mit sich und der Umwelt nützt auch gegen die Klimaerwärmung. Da braucht es keine Demonstrationen.

Spiritualität heisst für mich, seinen Geist und seine Seele kennenzulernen und auch hier: sich etwas Gutes tun. Negative Gefühle wie Neid und Missgunst bringen einen nicht weiter, jemanden auf der Strasse anzulächeln hingegen schon. Solche kleinen Dinge bedeuten für mich Spiritualität, und sie bringen die Magie ins Leben.

Den Tod stelle ich mir als Neuanfang vor. Ich glaube, dass es danach weitergeht, dass wir in einer neuen Dimension wiedergeboren werden. Ich glaube, an verschiedene Dimensionen und Welten. Ich glaube, dass wir im Leben wie im Theater eine Zeit lang eine Rolle spielen, die wir wieder abgeben müssen, und Erfahrungen sammeln. Ich bin mit mir im Reinen, ich kann einen guten Abgang machen. Das Einzige, was mir Angst macht, ist das Sterben: Die Kinder sollen mich nicht an Schläuchen sehen. Ich will nicht lange gepflegt werden müssen. Deshalb habe ich auch eine Patientenverfügung ausgefüllt, die diese Dinge regelt. Gleichzeitig bin ich auch bisschen neugierig darauf, was beim Sterben passiert. Ob wir wohl abgeholt werden?

Lesen Sie auch das Porträt von Daniela Kurjacki: Die Optimistin.

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