Herta Aeschlimanns Lebenslust

23.12.21

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Abgesehen von eine paar kleineren «Baustellen» geht es Herta Aeschlimann (55) gut. Sie kocht, lädt Leute ein und würde gern wieder mehr unternehmen.

Herta Aeschlimann bewegt sich dynamischer als bei meinem letzten Besuch. Sie macht mir einen Kaffee, giesst sich selbst eine grosse Tasse Tee auf. Sie setzt sich in ihr helles Wohnzimmer, das in Rot- und Holztönen dezent weihnachtlich geschmückt ist.

Die 55-Jährige leidet an einer akuten myeloischen Leukämie. Sie fährt alle zwei Wochen zur Kontrolle ins Spital und nimmt täglich eine «Chemo-Tablette» ein, die sie recht gut verträgt. Sie hofft, dass das neue Medikament aus den USA das Fortschreiten ihrer Krankheit bremst. Sie hat das Mittel noch vor seiner Zulassung in der Schweiz erhalten. Im Januar wird eine grosse Kontrolle in der Hämatologie stattfinden, um den Status ihrer Leukämie festzustellen. Andere Mittel wie Knochenmark-Transplantationen oder Chemo-Therapien wurden bereits ausgeschöpft.

Getrübtes Sehvermögen

Als ich ihr die Weihnachtskarte von der Migros-Aktion überreiche, erzählt sie, dass ihr Sehvermögen immer noch getrübt sei. Der graue Star habe ihr monatelang das Lesen und Ausflüge verunmöglicht. «Nichts zu sehen, macht einen fast wahnsinnig.» Kurznachrichten auf dem Handy konnte sie noch knapp entziffern, indem sie die Schrift ganz gross einstellte. Ausserdem war ihr Auge geschwollen. Mit einem MRI musste erst der Verdacht auf einen Hirntumor aus der Welt geschafft werden. «Dafür stellten die Ärzte fest, dass ich einen leichten Schlaganfall gehabt haben muss.»

Vor vier Wochen nun stand die erste Augen-Operation an. Diese verlief komplizierter als bei anderen, wohl weil ihr Gewebe durch die Leukämie und die vielen Therapien geschädigt ist: Statt nur dreissig Minuten, lag sie über eine Stunde unter dem Messer. Deshalb wurde die Operation des zweiten Auges auf den Januar verschoben. Für unser Video strengt sie sich trotzdem an, den Text auf der Postkarte zu entziffern.

Die zweite «Baustelle» betrifft ihre Haare. Am Hinterkopf fielen sie ihr büschelweise aus. Nun scheint der Haarausfall gestoppt. Trotzdem wird sie noch einen Dermatologen konsultieren deswegen. Aeschlimann hofft, dass dieses Symptom nicht auf ein Fortschreiten ihrer Krankheit hindeutet.

Sie steht immer wieder auf

«Wenn mich nicht der Durchfall flachlegt, geht es mir gut», sagt Herta Aeschlimann. Überhaupt wirkt die Mittfünfzigerin aufgestellt und quirlig. Fürs Foto posiert sie mit einem Deko-Stern. Woher nimmt sie ihre Lebensenergie? Sie habe wenige sehr gute Freundinnen und Freunde, die sie immer wieder aufstellten, sagt sie. Ausserdem ist die alleinerziehende Mutter eine Krampferin und eine Steh-auf-Frau.

Kürzlich habe sie jedoch einen Dämpfer erlebt: Sie wollte ihre drei Schwestern zum weihnachtlichen Mittagessen einladen, plante das Menü, fuhr mit einer Kollegin einkaufen, bestellte für den Abend danach ein Käse- und ein Fleisch-Plättli. Den Tisch deckte sie in Ruhe ein paar Tage vor der Einladung. Die Dekoration in Schwarz und Gold hatte sie am Flohmarkt gekauft. Sie musste die Einladung jedoch kurzfristig absagen, zu riskant wäre für sie eine Ansteckung mit dem Corona-Virus gewesen. Sie machte jedoch das Beste aus der Situation und lud ihren Sohn und dessen Freundin ein. Eher feststellend als traurig sagt sie: «Das wären unsere Schwestern-Weihnachten gewesen. Wir wissen ja nicht, wie oft wir noch zusammensitzen können.»

Gesucht: unkomplizierte Begleitperson

Die Aktion «Weihnachtspost» der Migros und der Spitex Schweiz zielt auf einsame Menschen ab, die an Weihnachten allein sind. Herta Aeschlimann gehört nicht dazu. An Heiligabend wird sie mit ihrem erwachsenen Sohn, der eben als Durchdiener den Militärdienst beendet hat, auswärts essen gehen. Trotzdem hätte sie gerne ein paar Kontakte mehr, mit denen sie ab und an etwas unternehmen, kleine Ausflüge machen könnte. Sie überlege sich, irgendwo ein Inserat aufzugeben, erzählt sie im Türrrahmen bei der Verabschiedung. Nun klingt sie nicht mehr wie eine Frau, die bereits ihre Beerdigung geplant hat, sondern wie eine, die ihr Leben geniessen will.

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