Mondseiten

07.10.25

Literatur

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Cover des Buches von Hansjörg Schneider: Nachtbuch für Astrid.

 

Als die Ehefrau des Schweizer Schriftstellers Hansjörg Schneider nach dreimonatiger Krankheit an Bronchialkrebs stirbt, tut er das, was er vermutlich am besten kann: schreiben. Fünf Tage nach ihrem Tod beginnt er mit den Aufzeichnungen von Nachtbuch für Astrid. Es ist der Tag, an dem er gemeinsam mit seinem Sohn die Urne seiner Frau abholen wird. Das Schreiben über seine Trauer, über seine Frau, ihr gemeinsames Leben wird zu einer Form von Therapie, die er in dieser Zeit dringend braucht – «um sich zu retten», wie er später in einem Interview mit dem Schweizer Fernsehen sagt. Im Prozess des Schreibens erkennt er, dass dieses Tagebuch auch ein Versuch ist, den Abschied hinauszuzögern. Ein Festhalten am gemeinsamen Leben, an dem, was war.

Es ist kein Buch über ihre Erkrankung, sondern eines über seine Trauer. Ein zärtliches Buch über eine starke Frau, die sehr früh schon unabhängig war, eine gemeinsame Liebe, die Zwillingskinder – eine Tochter und ein Sohn –, und über ein gemeinsam gelebtes Leben. Ein Leben, in dem er ein wenig länger Fluchtgedanken hatte als sie: «Weil ich stets unabhängig und frei sein wollte. Jetzt bin ich unabhängig und frei und traurig», schreibt Schneider. Und es ist auch ein Buch über den Verlust und die Trauer, die ihn nach Astrids Tod fast um den Verstand bringt.

Männer werden bekocht, wenn ihre Frauen sterben. Man bringt ihm Zwetschgenkuchen, später lädt man ihn zu Sauerkraut und Rippchen ein. Doch er lehnt immer öfter ab. Da er einsam ist, will er es auch sein. Und er will, wie er es nennt «hinhören auf dieses Entschwinden, solange ich noch einen Ton vernehme».

Es bleibt eine Nähe, die sich nicht mehr einlösen lässt, auch wenn Astrid in ihm weiterleben könnte, weil sich seine Erinnerung an sie mit ihrem Wesen wohl weitgehend deckt. Doch: «Sie lebt nicht in mir weiter, sondern irgendwo anders, wo ich nicht hinreiche.»

Schneiders Schwester ist bei Astrid, als der Tod eintritt. Was im Buch nun folgt, sind Sätze, die in ihrer Schlichtheit und Klarheit haften bleiben: «Ich wäre gerne bei ihr gewesen, als sie starb, ich hätte sie gern getragen, als sie hinausmusste.»

Zwar war ihr Tod eine Erlösung für die Angehörigen, doch es folgt der zweite Schock: «Sie war nicht mehr da, sie würde nie mehr da sein.» Der eigentliche Schmerz beginnt erst mit der endgültigen Abwesenheit. Schneider benennt die Sprachlosigkeit, das Ringen um Akzeptanz: «Diese Gewissheit voll und ganz zu akzeptieren, ist indessen enorm schwierig. Man sucht Ausreden, Ausflüchte. Vielleicht ist unsere Liebe doch stärker als der Tod?» – Katrin Zbinden

Hansjörg Schneider: Nachtbuch für Astrid. Von der Liebe, vom Sterben, vom Tod und von der Trauer darüber, den geliebten Menschen verloren zu haben., Diogenes Zürich, 2012

Katrin Zbinden (Jahrgang 1975) kennt Palliaviva als Angehörige und schreibt für diesen Blog in loser Folge Rezensionen von Büchern übers Leben und Sterben. Ihr Mann starb im Frühling 2024 an einem bösartigen Hirntumor. Seither macht Katrin Zbinden die Erfahrung, dass ihr Lesen bei der Verarbeitung der Trauer hilft. So entstand eine Literaturliste, die sie anderen Interessierten zur Verfügung stellt.

Sie ist ehemalige Verlagsleiterin einer Architekturzeitschrift und arbeitet freiberuflich für die Stiftung Architektur Schweiz und das Architekturstudio Camponovo Baumgartner.

 

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