Die Macherin

29.03.18

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Ein Tag im Leben der Palliativpflegefachfrau Liselotte Vogt (von oben links, im Uhrzeigersinn): Im Erstgespräch berät sie eine Ehefrau, deren Mann an einem Hirntumor leidet. Auch während der Autofahrten muss sie Probleme lösen und Fragen beantworten. Einer hochbetagten Patientin spritzt sie ein Mittel gegen Übelkeit, weil diese es nicht mehr schlucken kann. Mit dem Tankwart Robert Kornfein posiert sie für ein Facebook-Bild. (Bilder: sa)

Sie ist von eher kleiner Statur, hat dafür aber Energie für zwei. Wenn Liselotte Vogt erzählt, was sie in ihrem Leben schon alles erreicht hat, ist man beeindruckt. Die Onko-Plus-Mitarbeiterin im Porträt.

Liselotte Vogt wollte bereits als Kind Krankenschwester werden. Sie wuchs mit vier Geschwistern auf einem Bauernhof auf, wo sie mitanpacken musste. Die Eltern waren weit über den Landwirtschaftsbetrieb hinaus aktiv. Der Vater kaufte zur richtigen Zeit zwei Häuser, in denen er dann Fremdarbeiter unterbrachte, die in den 70er-Jahren in die Schweiz kamen. «Er hatte ein  soziales Gewissen und diese Nische damals erkannt.» Die Tochter kommt vermutlich ein bisschen nach dem Vater: Auch sie sieht Angebote, welche die Welt noch braucht, und auch sie ist eine Menschenfreundin.

Nach der Pflegefachschule Zürich spezialisierte sich Liselotte Vogt in Baden auf Intensivpflege. Sie ging wegen ihres Mannes in den Aargau. Ihn hatte sie an einem Bahnhof kennen gelernt: Sie fanden einander sympathisch und gingen zusammen etwas trinken. Vogt macht keine grossen Worte, weder um ihre Verdienste noch um die Liebe. Ihr Mann, der Bauleiter ist, träumte immer davon, ein altes Haus zu kaufen und selbst umzubauen. Das gelang ihnen schliesslich im Zürcher Weinland: In Thalheim erwarben sie ein altes Haus, ehemals Gasthof und Bäckerei, und renovierten es. Sie heirateten und bekamen den ersten Sohn.

Der Schock

Bald darauf war die junge Mutter wieder schwanger, auch diese Schwangerschaft verlief problemlos. Der Gynäkologe sagte noch kurz vor der Niederkunft, es sehe alles gut aus. Aber das zweite Kind kam tot zur Welt. Es war schwer behindert und wäre nicht lebensfähig gewesen. Ein Schock für das Paar, mit dem es aber offensiv umging. «Wir setzten eine Todesanzeige in die Zeitung. Wir liessen den kleinen Körper kremieren. Die Urne steht bis heute in unserem Schlafzimmer.» Der offene Umgang mit dem schwierigen Thema brachte der Familie viel Zuspruch: Nachbarn kamen vorbei, es meldeten sich sogar Unbekannte, die dasselbe erlebt hatten. Das war Vogts erste Konfrontation mit dem Tod, die ihren weiteren Berufsweg prägte. «Erst dann bekam der Tod einen Stellenwert.» Ausserdem suchte sie nach diesem «Einschnitt» eine neue Herausforderung.

Sie begann, abends auf dem Notfall des Kantonsspitals Winterthur zu arbeiten. Nach ein paar Jahren wechselte sie auf die Nachtwache. So gelang es der Familienfrau, die inzwischen zwei weitere gesunde Kinder geboren hatte, Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen. Später leitete sie die Abend-Spitex der Stadt Winterthur. Vogts Söhne sind inzwischen 23, 26 und 28 Jahre alt.

«Ich war schon immer am Menschen als Ganzem interessiert.»

Dann startete Liselotte Vogt freiberuflich, als ambulante Pflegefachfrau, durch. «Als Freiberufliche kann ich eine intensivere Beziehung zu Patientinnen und Patienten aufbauen und erhalte einen höheren Stellenwert im ganzen Geschehen.» Nebenbei absolvierte sie die Höhere Fachschule (Höfa) in Palliative Care. An dieser Disziplin gefalle ihr, dass der Mensch im Mittelpunkt stehe. Überhaupt sei sie, während ihrer gesamten Tätigkeit in der Medizin, immer am Menschen als Ganzem interessiert gewesen. Es sei für sie nie in Frage gekommen, nur von einer Diagnose zu sprechen.

Gerade in den Erstgesprächen, die sie als Mitarbeiterin von Onko Plus immer wieder führt, erfahre man viel über einen Menschen, sagt sie. Zu wissen, was ein Patient von Beruf sei, runde zum Beispiel das Bild über ihn ab. Spricht Vogt mit einer Angehörigen oder einem Patienten, hört sie aufmerksam zu und fragt gezielt nach. Sie ist keine Frau der grossen Worte, schafft es mit ihrer starken Präsenz, ihrer Erfahrung und Professionalität aber trotzdem, das Vertrauen der Anwesenden zu gewinnen.

Im ambulanten Setting wurde ihr rasch klar, wie wichtig die Angehörigen darin sind, und wie viel auf ihnen lastet. Und Vogt legte sich für sie ins Zeug: An der Schule für soziale Arbeit absolvierte sie den Studiengang «Support für Angehörige und Freiwillige». Gleichzeitig begann sie, Fachpersonen als Nachtwachen zu vermitteln.

Eigene Stiftung gegründet

So entstand vor bald sieben Jahren die Stiftung Orbetan, ein Angebot für betreuende Angehörige zur Ergänzung der öffentlichen Spitex. Das Problem, so hatte Vogt bald analysiert, sind vor allem die Nächte. «Man kommt psychisch viel schneller an seine Grenzen, wenn man nachts mehrmals aufstehen muss.» Wer selber nicht zur Ruhe kommt und niemals abschalten kann, kann auch nicht für seine Liebsten da sein. Das schwächste Glied in der Kette der Betreuung zu Hause sind die pflegenden Angehörigen. Vogt und ihre Kolleginnen kommen meist in der Endphase einer Betreuung zu Hause zum Zug. «Wir werden meist relativ kurzfristig angefragt und sind nur kurz im Einsatz.» Es gebe einen einzigen Patienten, den sie seit fünf Jahren jede Nacht betreuten. «Aber das ist eine Kostenfrage.»

Vor einem Jahr hatten Liselotte Vogt und ihre Kolleginnen eine weitere Idee: Mit einer Helpline wollen sie betreuenden Angehörigen ermöglichen, dass sie sich ihre Sorgen von der Seele reden oder von zu Hause aus unkompliziert Hilfe holen können. Denn die Zeit, die sie weg von zu Hause verbringen können, ist spärlich gesät. Orbetan konnte bisher nur eine einzige Selbsthilfegruppe ins Leben rufen, die jedoch seither stabil besucht wird, von immer denselben Personen. Die Nummer 0840 40 40 40 werde nach wie vor sehr wenig genutzt, sagt Vogt bedauernd. Das Problem: Sie sei immer noch zu wenig bekannt. «Trotzdem bin ich davon überzeugt, dass die Helpline einem Bedürfnis von pflegenden Angehörigen ents pricht.»

Bei Onko Plus arbeitet Liselotte Vogt erst seit gut drei Jahren. Sie ist im Stundenlohn angestellt und kommt durchschnittlich auf ein Pensum von vierzig Prozent. Vorher arbeitete sie neben ihrer selbstständigen Tätigkeit im Zürcher Hospiz Lighthouse.

Nachts immer erreichbar

Vogt ist sich also das unregelmässige Arbeiten oder Einsätze auf Abruf gewohnt. Ebenso locker geht sie mit dem Pikett um beziehungsweise Nächten, in denen sie immer mal wieder geweckt wird. «Für Orbetan habe ich eigentlich immer Pikett», sagt sie. Denn sie ist jederzeit für ihre Kolleginnen erreichbar, sollten diese Fragen haben oder Unterstützung brauchen, etwas bei einem Todesfall. Das Handy liege immer auf ihrem Nachttisch.

Trotz dieses grossen Engagements und dem Mitgefühl, das sie Betroffenen und Angehörigen entgegen bringt, kann sich Vogt gut abgrenzen. «Ich kann das Traurige loslassen und leide nicht mit.» Früher, als ihre drei Söhne noch klein waren, sei dies noch einfacher gewesen: «Wenn ich nach Hause kam, war Rambazamba, ein anderes Leben.» Heute geht sie, um Dampf abzulassen, auch mal in den Wald walken.

«Visionen habe ich immer, die Gedanken kreisen.»

In sechs Jahren wird Liselotte Vogt pensioniert. Klar ist, dass sie ihr Engagement für Orbetan weiterführen wird. Man kann sich nicht vorstellen, dass sie sich ausserdem zur Ruhe setzen wird. «Visionen habe ich immer, die Gedanken kreisen», sagt sie lediglich. Das Gesundheitswesen befinde sich ja im Wandel. Vogt hat ihre Nase jedenfalls im Wind.

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