Die Angst, sich mit einem Hirntumor selbst zu verlieren

21.11.23

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Eine farbige Illustration eines Kopfes im Profil mit Hirn und Hirntumor.

Betroffene mit Hirntumoren müssen sich leider oft früh mit belastenden Symptomen auseinandersetzen. (iStock)

Eine Krebsdiagnose ist immer ein Schock. Hirntumorpatientinnen und -patienten haben besonders häufig noch eine zweite schlechte Nachricht zu verarbeiten: Ihnen bleibt manchmal nicht viel Zeit, um Wichtiges zu regeln und Abschied zu nehmen.

Die Aussicht, dass die Lebenszeit nach der Diagnose möglicherweise sehr begrenzt ist, ist auch für die Angehörigen eine schwere Belastung. Bei Hirntumoren sieht die Prognose leider häufig schlecht aus. Je nach Krebsart schreitet die Erkrankung schnell voran und ist mit komplexen Symptomen verbunden, die den Alltag und das Zusammenleben beeinträchtigen.

Noch fehlen bei gewissen Tumorarten wirksame Therapien, die das Leben markant verlängern und die Lebensqualität entscheidend verbessern würden. Dazu kommen bei Hirntumoren manchmal Symptome, welche die Beziehung zwischen den Betroffenen und ihren Angehörigen auf eine herausfordernde Art verändern.

Traurigkeit und viele Tränen

Palliaviva-Mitarbeiterin Livia de Toffol erzählt von einem Ehepaar, bei dem der Mann erkrankt war. Eine Zeit lang sei dieser immer wieder von einer heftigen Traurigkeit überwältigt worden, habe lange geweint, aber nicht ausdrücken können, was ihn genau bedrücke. «Für uns als Betreuungsteam war nicht klar, ob er traurig ist über den bevorstehenden Abschied oder ob es sich um eine depressive Episode als Symptom der Hirntumorerkrankung handelt. Vielleicht war es auch eine Mischung aus beidem, aber er konnte es uns nicht sagen.»

Auch die Frau des Patienten litt, wie Livia de Toffol ausführt: «Sie vermisste die Möglichkeit, mit ihrem Mann Gespräche wie vorher zu führen, auch über Leben und Tod.» Ihr Mann hatte durch die Krankheit die Sprechfähigkeit verloren und sich stark verändert. «Besonders schmerzlich für die Ehefrau war, dass es den Menschen, den sie gekannt hatte, so nicht mehr gab.»

Berührend auch für die Ärztin

Caroline Hertler ist im Spital jeden Tag mit bewegenden Schicksalen konfrontiert. Die Neurologin ist die stellvertretende Leiterin des Kompetenzzentrums Palliative Care am Universitätsspital Zürich (USZ). Die Ärztin sagt: «Die Situation von Patientinnen und Patienten mit Hirntumoren ist auch für mich häufig besonders berührend.» Eine intensive Auseinandersetzung mit den Familien und eine vorausschauende Planung seien in diesen Fällen ausgesprochen wichtig.

Patientinnen und Patienten mit Hirntumoren, so Caroline Hertler, seien manchmal bereits bei der Diagnose oder wenig später von Symptomen betroffenen, die bei anderen Krebserkrankungen oft erst in einer späteren Phase auftreten. Dazu gehörten zum Beispiel:

  • Mobilitätseinschränkungen
  • Epilepsie, und damit verbunden eine Fahrunfähigkeit
  • Wesensveränderungen
  • Psychiatrische Störungen
  • Einschränkungen des Sprachvermögens
  • Verlust der Urteilsfähigkeit

Caroline Hertler unterstreicht, die vorausschauende Behandlungsplanung, die auch Advance Care Planning (ACP) genannt wird, müsse darum im Idealfall früh beginnen. Konkret heisst das: Wichtige Gespräche, etwa über die individuelle Bedeutung von Lebensqualität, über Wünsche am Lebensende sollten nicht aufgeschoben werden. Auch Themen wie die Vorsorge für den Partner, die Partnerin und allfällige Kinder sowie Erbschaftsangelegenheiten müssen rasch besprochen werden.

Furcht vor Autonomieverlust

«Bei hochaggressiven Hirntumoren spricht man von einer durchschnittlichen Überlebenszeit von zwölf Monaten», erklärt Caroline Hertler. Das ist reine Statistik und sagt nichts über die individuelle Erkrankung aus. «Der Verlauf ist bei der Diagnosestellung nicht absehbar.» Es könne also sein, dass die Fähigkeit, zu sprechen und zu schreiben, verlorengehe. Auch die Urteilsfähigkeit ist ein entscheidender Faktor der Selbstbestimmung. Diese wird bei manchen Patientinnen und Patienten im Laufe der Erkrankung eingeschränkt.

Portrait von Caroline Hertler, Ärztin am Universitätsspital Zürich (USZ).

Caroline Hertler

Wie zwei Krankheiten in einer

Sehr wichtig ist der Palliative-Care-Spezialistin am USZ auch die Begleitung der Angehörigen. Sie weiss, dass es für Familie und Freunde extrem belastend sein kann, wenn der oder die Erkrankte beispielsweise praktisch verstummt oder das Gesagte einfach keinen Sinn ergibt. Belastend seien auch Persönlichkeitsveränderungen, die zwar selten sind, aber vorkommen. Mit Aggressionen ist ebenso schwer umzugehen wie mit kindlichem oder selbstgefährdendem Verhalten.
Die Symptome sind in manchen Fällen ähnlich wie bei demenziellen Erkrankungen. Caroline Hertler spricht im Zusammenhang mit Hirntumoren von zwei Krankheiten in einer. «Der Krebs ist in vielen Fällen lebenslimitierend. Dazu kommt der neurologische Teil.» Das zusammen mache den Prozess, den Patientinnen, Patienten und Angehörige durchlaufen, umso schwieriger.
Die Palliative-Care-Spezialistin fühlt sich hier – in der engen Begleitung aller Beteiligter – ebenso verantwortlich wie das Team von Palliaviva.

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