Design des Sterbens

14.02.20

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Im Gespräch mit den Mitarbeiterinnen von Palliaviva erklärt Bitten Stetter (Mitte mit türkisfarbener Kappe) ihr Forschungsvorhaben.

Ein Forschungsprojekt an der Zürcher Hochschulde der Künste ZhdK befasst sich mit dem Thema «Lebensende und Design». Die Pflegenden von Palliaviva beteiligen sich ebenfalls an der Studie.

Als Bitten Stetters Mutter in einem Hospiz im Sterben lag, «tauchte ich in eine Lebenswelt ein, die mir sehr fremd war». Da die Designerin ihren Beruf auch als pflegende Angehörige nicht ablegen konnte, fielen ihr Dinge und Produkte auf, die zu diesem Setting zu gehören schienen oder eben solche, die fehlten.

Zum Beispiel lagerte ihre Mutter die ihr wichtigen Dinge immer im Bett: Handy, Notizbuch, Brille. Die Pflegenden räumten sie beim Bettmachen jeweils auf den Nachttisch. Dort waren sie für die Patientin nicht mehr erreichbar, worauf sie sich beschwerte. Die Designer-Tochter bracht kurzerhand einen Fahrradkorb mit und befestigte ihn am Bettgestell. Die Mutter konnte so ihre Habseligkeiten an einem gut erreichbaren Ort deponieren, das Personal war beim Betten nicht mehr gestört. Stetter erzählt: «Ich lernte später in meinen Praktika, dass viele Menschen am Lebensende ihren Koffer packen, also Dinge, die ihnen wichtig sind, immer um sich haben wollen.»

Mir fiel auf, dass viele Angehörige und Patienten ihr Krankenzimmer zu Hause unpersönlich wie im Spital einrichten.»

Stetter leitet seit 2008 an der ZHdK den Masterstudiengang im Fachbereich Trends & Identity und den entsprechenden Forschungsbereich. Sie begann sich als Forschende mit dem Thema Lebensende zu befassen und absolvierte in mehreren Institutionen der Palliative Care Praktika, zum Beispiel in der Palliativstation des Stadtspitals Waid. Sie begleitete auch Olaf Schulz von Palliaviva einige Tage bei seiner Arbeit.

Im ambulanten Setting, also wenn Patientinnen und Patienten zu Hause gepflegt werden, fiel ihr auf, dass viele Angehörige und Patienten ihr Krankenzimmer unpersönlich wie im Spital einrichten. Das hat einerseits mit dem Pflegebett zu tun, das die Arbeit der Spitex erleichtert und dank spezieller Matratzen für den Kranken bequemer sein soll – aber eben auch nach Krankenhaus aussieht. Viele lagern zudem Medikamente und Material, die nicht täglich gebraucht werden, in der Nähe des Betts. Vielleicht will das die Spitex so, vielleicht vermitteln diese Dinge und Produkte und ihre Nähe aber auch Sicherheit.

Stetter widmet sich vertieft dem Thema «Tod und Design im Zeitalter des demografischen Wandels und der digitalen Transformation», wie es auf der Website der ZhdK heisst. Die Design-Professorin untersucht im Rahmen des Forschungsschwerpunktes Care Futures mit designethnografischen Methoden Lebensstile am Lebensende. Ein Teil ihrer Forschung findet innerhalb einer mehrteiligen Studie statt, in der es neben Design auch um Pflege, Sprache und Religion geht. Seit kurzem ist klar, dass das Gesamtprojekt vom Nationalfonds unterstützt wird.

Dinge können Trost spenden, funktional sein und auch Identität stiften oder verneinen, man denke zum Beispiel ans Pflegehemd.»

Die partizipative Methode, die Stetter gewählt hat, um Eindrücke zu sammeln, nennt sich «Cultural Probes», kulturelle Proben also. Die Pflegenden werden aufgefordert, ihre Beobachtungen, die sie bei Patientinnen und Patienten und ihre Familien zu Hause machen, in einem liebevoll gestalteten Büchlein zu notieren. Das Forschungsteam wertet die Hinweise danach aus. Die Fragen, die darin gestellt werden, oder die Aufgaben lauten zum Beispiel:

  • Was für Dinge befinden sich in Pflege- bzw. Sterbezimmern?
  • Was für Dinge vermisst du in Pflege bzw. Sterbezimmern?
  • Teile deine Care-Tipps mit mir, z. B. Lampen mit Tüchern abdecken, Raumdüfte installieren, Eiswürfel aus Lieblingsgetränken herstellen, gerollte Waschlappen in unruhige Hände geben.

Die Fragen sind sehr offen gestellt und laden die Beteiligten ein, sich Gedanken über ihre eigenen Werte und Vorstellungen zu machen, sie aufzuschreiben oder zu zeichnen. Ausserdem regen sie sie an, mit Patientinnen und Patienten über Dinge am Lebensende zu sprechen, die für sie wichtig und tröstlich sind. «Dinge können Trost spenden, funktional sein und auch Identität stiften oder verneinen, man denke zum Beispiel ans Pflegehemd.»

Würden Produkte aus der Palliative Care, etwa Mundpflegestäbchen, Teil der Öffentlichkeit, indem sie etwa beim Grossverteiler zu kaufen wären, würde das Thema Sterben auch öffentlicher werden, ist sich die Forscherin sicher. Ähnliches ist beim Thema Inkontinenz geschehen, unter anderem weil viel mehr entsprechende Produkte in der Migros zu kaufen sind als früher.

Dinge ermöglichen Sozialität. Über Dinge erfahren wir, wie wir sterben.»

Bitten Stetter sagt: «Dinge ermöglichen Sozialität. Über Dinge erfahren wir, wie wir sterben.» In einer Information für das Palliaviva-Team zeigt sie Bilder von früheren Pflegeprodukten, etwa von altmodischen Schnabeltassen oder Medikamentenspendern. Die Dinge des Sterbens verändern sich auch.

Die Designerin plädiert dafür, das Sterben wieder mehr ins (öffentliche) Leben zurückzuholen. «Weshalb hat der Lebensanfang eine so viel grössere Bedeutung als das Lebensende?», fragt sie. Rund um die Geburt stehen sehr viele Produkte zur Verfügung, die zudem auch fleissig beworben werden.

Stetter wäre keine Designerin, wenn sie nicht selber auch schon Produkte zum Thema entworfen hätte, zum Beispiel ein Tuch, das von den Angehörigen bemalt werden kann, oder ein Würfelset. Dieses stiess im Palliaviva-Team auf besonderen Anklang. Auf sieben grossen, farbigen Holzwürfeln stehen Stichworte zu den Themen Gefühle, Planung, Gestaltungsraum und Fragen, alle immer auf das Lebensende bezogen. In der Bedienungsanleitung heisst es: «Obgleich wir wissen, dass der Tod wie die Geburt zum Leben dazugehören, findet das Sprechen über das Lebensende selten statt. Sprachlosigkeit entsteht und fehlendes Wissen über Wünsche, Bedürfnisse, Sorgen und Mühen lösen bei Betroffenen und ihren Begleiter*innen oft Unsicherheit, Konflikte und Krisen aus.» Die Würfel sollen das Sprechen über das Sterben erleichtern, sie sollen ein Konversationshelfer sein.

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