Der junge Mann und der Tod

04.12.19

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Illustration eines Blogbeitrags

Fabian Bürgi hat seine Maturarbeit dem Sterben gewidmet. Er hat fünf Video-Interviews mit Sterbe-Expertinnen und -Experten geführt. Einer davon ist unser Mitarbeiter und Palliativpflegefachmann Olaf Schulz.

Gross und schlaksig ist Fabian Bürgi, sein Rucksack hängt über nur einer Schulter. Darin trägt er seine Maturarbeit, ein 65-seitiges Buch, das er sogar hat binden lassen. Am Tag zuvor hat er sein Werk vor den Lehrerinnen und Lehrern sowie Schülerinnen und Schülern der Kantonsschule Wettingen präsentiert. Das Feedback sei gut gewesen, erzählt er. «Zwei Zuschauerinnen haben sogar geweint.»

Der Kern von Fabian Bürgis Arbeit sind vier 10-minütige Filmporträts mit Menschen, die sich von Berufs wegen intensiv mit dem Sterben und dem Tod auseinandersetzen: Markus Minder, Palliativmediziner im Spital Affoltern a. A., Cindy Studer-Seiler, Pfarrerin im aargauischen Kelleramt, Martin Schuppli, Journalist und Initiant der Plattform «Dein Adieu» und Olaf Schulz, Pflegefachmann bei Palliaviva. Zu guter Letzt machte der Jungfilmer auch ein Video über sich selbst.

Weshalb kommt ein 19-Jähriger dazu, sich mit den Themen Sterben und Tod derart intensiv auseinanderzusetzen? Fabian Bürgi will am Tabu rütteln. Er findet es wichtig, «dass man über das Sterben spricht». Er hat diesbezüglich keine Scheu, er erzählt zum Beispiel ganz offen vom Tod seines Grossvaters im Sommer 2018, der ihn tief bewegt und ihn zu dieser Arbeit motiviert hat.

Wie sein Grossvater starb…

«Mein Grossvater hatte Bauchspeicheldrüsen- und Prostatakrebs. Man stellte das erst fest, als sich seine Haut bereits gelb-orange verfärbte, das war um Weihnachten 2017. Indem man die Gallenflüssigkeit ableitete, konnte man dieses Symptom mildern.

Gegen den Prostatakrebs konnten die Ärzte auch noch etwas tun. Daran hat sich mein Grossvater festgehalten. Trotz seiner schweren Krankheit erlebte er die letzten Monate noch recht gut. Zusammen haben wir zum Beispiel im März 2018 eine Fotoausstellung besucht. Er interessierte sich wie ich fürs Fotografieren. Er war den ganzen Tag auf den Beinen. Das war mega schön.

Im Sommer war Grossvater, wie jedes Jahr, im Tessin. An einem Dienstag holten ihn meine Eltern zu sich nach Hause, weil sich sein Allgemeinzustand massiv verschlechtert hatte. Am Mittwoch war ich zusammen mit meiner Mutter, die Hausärztin ist, den ganzen Tag an seiner Seite. Ich sass von acht bis 22 Uhr neben seinem Bett. Er sprach zwar verlangsamt, erzählte mir aber noch viel. Am Donnerstag dann begrüsste er nur noch die Palliativ-Spitex, die wir engagiert hatten, danach verstummte er. Am Abend verabschiedete ich mich von meinem Grossvater. Das Nachhausegehen war ein bewusster Entscheid von mir und meiner Mutter. Wir gaben ihm damit die Möglichkeit, zu gehen. Meine Mutter wollte nach dem Duschen wiederkommen. Kaum stand sie aber unter der Dusche, erhielten wir den Anruf, er sei jetzt gegangen.»

Die enge Begleitung des geliebten Grossvaters half dem Enkel, diesen Verlust zu verarbeiten. «Ich weinte, als ich von seinem Tod hörte. Darunter waren aber auch Freudentränen, dass er es geschafft hat.»

Der Tod sei nicht nur traurig, schrecklich und schlimm, sondern hat auch eine schöne Seite, davon ist Fabian Bürgi überzeugt. Das war auch eine Quintessenz seiner Arbeit, das zeigten die Gespräche mit den Expertinnen und Experten: «Die Auseinandersetzung mit dem Sterben kann einem auch ein gutes Gefühl geben.»

Fabian Bürgi akzeptiert jedoch, dass es auch Menschen gibt, die nicht über das Sterben oder den Tod sprechen wollen. Und er hat erkannt, dass Menschen auf ihre je individuelle Art und Weise trauern. Mit seiner Mutter teilt der junge Mann die sehr handfeste und konkrete Art, sich dem Tod zu stellen. Das lernte er bereits als Vierjähriger:

… so starb seine Schwester…

«Schon vor der Geburt meiner kleinen Schwester war klar, dass sie eine starke Behinderung haben wird, Trisomie 13. Sie wäre nicht lebensfähig gewesen. Sie kam tot zur Welt. Ich durfte sie anfassen, halten und schob sie in einem Bettchen auf Rädern durch den Gang. Stolz präsentierte ich sie den Pflegenden. Sie war genauso gross wie mein geliebtes Bäbi.» Fabian Bürgi lächelt, als er das erzählt.

… und so sein Onkel und seine Grossmutter

Fabian Bürgi hat diese frühe Begegnung mit dem Tod sensibilisiert, ebenso der Tod des Grossvaters und der Verlust des Onkels und der Grossmutter 2010, im gleichen Jahr. Sein Onkel starb an Krebs, nach langem Kampf und einer erlösenden Nacht in der Villa Sonnenberg, der Palliativstation in Affoltern a. A. Seine Grossmutter hatte einen Hirntumor. «Das war eigentlich der tragischste Abschied. Diese Krankheit hatte sie komplett in ihrem Wesen verändert. Sie war viel kälter, nicht mehr so herzlich wie zuvor. Das hat mir ziemlich wehgetan.»

Fabian Bürgi spricht auch mit Gleichaltrigen über solch schwierige Erlebnisse und hat die Erfahrung gemacht, dass es mit den jungen Frauen einfacher ist als mit Männern. «Obwohl ich mit meinen männlichen Freunden über alles sprechen kann, ist das Reden über den Tod, bei einigen immer noch ein eher unbeliebtes Gesprächsthema. Gespräche, bei denen Emotionen hochkommen, gelten als nicht männlich.» Bürgi regt sich auf: «Solche Normen sind doch ein Witz!»

Das Nachdenken und das Sprechen über den Tod rückt auch die Tatsache in greifbare Nähe, dass es mit einem selbst jeden Tag vorbei sein könnte. Der junge Filmemacher sagt: «Dieses Bewusstsein macht das Leben schöner.» Es führe dazu, dass man jeden Tag mehr geniesse. In dieser Erkenntnis gleicht er Olaf Schulz, der im Video sagt: «Wir wissen nicht, wann wir sterben, aus dieser Tatsache heraus gilt es bewusst zu leben.»

Im Sommer, wenn Fabian Bürgi die Schule abgeschlossen hat, will er ein Filmstudium in Angriff nehmen. Ein Praktikum in einer Filmproduktionsfirma, das er Anfang Jahr absolvierte, hat ihm vollends den Ärmel fürs Filmemachen reingezogen. «Früher wollte ich Hausarzt werden wie meine Mutter. Jetzt steht das Filmen für mich im Vordergrund.» Vielleicht liege ja mal noch ein Psychologie-Studium drin, fügt er schmunzelnd an.

Wenn ich tot bin, bin ich tot.»
Fabian Bürgi, Maturand

Wie will er selbst einmal sterben? «Aus heutiger Sicht am liebsten so, wie es meinen Angehörigen passt, zu Hause oder nicht, ist egal. Wenn ich tot bin, bin ich tot. Ich muss nicht mehr damit klarkommen. Die Hinterbliebenen schon.» An ein Jenseits glaubt er nicht, an Gott hingegen schon, und er gehe auch ab und an in die Kirche. Für gläubig hält er sich jedoch nicht. Dafür sei er viel zu kritisch. Er spreche lieber über Religion und Glauben. Er hinterfragt sehr viel.

Fabian Bürgi sagt, er habe dank der vielen positiven Erlebnisse keine Angst vor dem Tod. Würde er die Diagnose «unheilbar» erhalten, wüsste er allerdings auch nicht, wie es ihm damit ginge.

Porträt von Fabian Bürgi auf «Dein Adieu»

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