Das Phänomen Rosmarie Z.

24.01.18

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Rosmarie Z. lacht gerne. Zum Beispiel über diesen Wellensittich aus Plüsch, der alles wiederholt, was man selbst sagt (Bild: sa).

Zuerst pflegte sie ihre Eltern bis zum Tod, dann erkrankte sie selber an Krebs. Eine eigene Familie hat sie nicht. Woher nimmt die Frau mit einer solchen Geschichte ihren grenzenlosen Optimismus?

Rosmarie Z. empfängt den Besuch mit einer Mütze. Darunter versteckt sie eine Glatze: Als ihr die Haare ausgingen, beauftragte sie die Coiffeurin, ihr den Schädel zu rasieren. Ende Oktober begann sie mit der Chemotherapie. Seither fährt sie alle drei Wochen ins Spital Zollikerberg. Kürzlich erhielt sie positive Nachrichten: Die Tumormarker in ihrem Blut sind gesunken. Das sind Substanzen, die auf einen Tumor hindeuten. Nun wird man mit dieser Behandlung weiterfahren.

Z. hat Pfefferminztee aufgebrüht. Sie trägt Trainerjacke, Leggings und hat die Kappe abgelegt. Ohne Haare sieht sie alterslos und irgendwie spitzbübisch aus.

«Wie schwanger mit Zwillingen»

Letzten August stellte die 71-Jährige plötzlich fest, dass sich in ihrem Bauch Wasser ansammelt. «Ich war wie schwanger mit Zwillingen.» Ihr Hausarzt schickte sie zur Abklärung ins Spital, dort fand man Krebszellen im Blut und nach zahlreichen anderen Tests einen Tumor im Eierstock. Dieser wurde ihr operativ entfernt.

Sie sitzt am Esstisch und fasst sich ans rechte Schlüsselbein. Man hat ihr einen sogenannten Port eingesetzt. Über diesen permanenten Zugang wird ihr die Infusion mit den Medikamenten verabreicht. So muss man sie nicht immer stechen. Die Chemotherapie bringt leider viele Nebenwirkungen mit sich: einen metallenen Geschmack im Mund, empfindliche Haut an den Fingern, Gefühlsstörungen in Händen und Füssen, Bauch-, Muskel- und Gelenkschmerzen. «Mit jedem Mal verstärken sich die Nebenwirkungen», sagt sie. Dennoch ist sie keine, die jammert oder sich beschwert. Nein, sie macht das Beste aus ihrer Situation: Sie hat sich einen schicken Turban besorgt, der farblich zu ihrer Kleidung passt. Zudem besitzt sie seit Kurzem auch eine Perücke. Und sie trägt wegen der empfindlichen Fingerspitzen auch in der Wohnung leichte Baumwollhandschuhe.

Jeden Morgen das gleiche Ritual

Rosmarie Z. wohnt alleine in einer Zwei-Zimmer-Wohnung mit Balkon im Zürcher Oberland. Diese befindet sich in einem Industriegebiet neben einer Garage, in der Bagger und Maschinen einer Tiefbaufirma lagern. Es ist eine moderne Wohnung, in der früher die Tochter des Firmenbesitzers gewohnt hat. Die Chefin ist eine Freundin und enge Bezugsperson von Z..

Jeden Morgen absolviert die alleinstehende Frau dasselbe Ritual: Sie geht ins nahe Café frühstücken. Das ist nicht selbstverständlich, denn während einer Chemotherapie kann man sich echt mies fühlen. Sie trinkt einen Kaffee, isst ihr Weggli und nimmt dazu ihre Medikamente. Sie trifft dort auch immer dieselben Menschen. «Eine gute Gruppe» sei das. Das sind ihre Freunde, die ihr zur Ersatzfamilie geworden sind.

 Schwierige Kindheit mit Lichtblicken

Z. hatte keine leichte Kindheit. Bis zur dritten Klasse lebte sie bei einer Pflegefamilie, da ihre Mutter tagsüber in der EPA und abends als Platzanweiserin im Kino arbeitete. Der Pflegevater war Alkoholiker und Klein-Rosmarie musste ihn jeweils in den umliegenden Beizen suchen, wenn das Nachtessen auf dem Tisch stand. «Aber auf eine Art hatte ich ihn noch gern», sagt sie. Das Leben verläuft eben nicht schwarz-weiss und es gibt auch in dunkleren Phasen Lichtblicke.

Nach abgeschlossener Schule und Welschlandjahr wollte sie die Pflegerinnenschule machen, wurde dort aber vertröstet und machte schliesslich eine Ausbildung zur Psychiatriepflegerin. Ein Beruf, der ihr entsprach. Sie kann es gut mit Menschen, kann gut mit ihnen reden und auf sie eingehen. Diese Fähigkeiten dienten ihr auch, als sie ausnahmsweise auf einer chirurgischen Station arbeitete. «Ich habe dort nicht ein Knie behandelt, sondern Herrn Müller.» Es sei für sie ausserdem logisch gewesen, dass Frauen, denen die Gebärmutter entfernt wurde, in ein Loch fielen. Sie habe ihnen klarmachen müssen, dass sie trotzdem noch richtige Frauen seien.

Früher Krankenschwester, dann Pflegende der Eltern

Z. verfolgte als Pflegefachfrau schon früh einen ganzheitlichen Ansatz. Aus einer eigenen Überzeugung heraus. Als Leiterin einer Aussenstation des Burghölzlis in Hinteregg animierte sie die Patientinnen zur Aktivität und zur Eigenverantwortung. Diese mussten ihr Bett selber machen und weil sie den Frühsport nicht mochten, verlegte Z. das Frühstück ins andere Haus, so dass die zum Teil bereits älteren Damen gezwungen waren, Treppen zu steigen.

Ihr berufliches Engagement ging in ein privates über: Fünf Jahre lang pflegte sie ihre Eltern, gab mit der Zeit deswegen sogar ihren Job auf. Ihre Mutter war dement und verwechselte zum Schluss ihre Tochter jeweils mit der eigenen Schwester. Ihr Vater war stark übergewichtig und litt an einem Herzklappenfehler. Die Geschichten über die Eltern sprudeln aus Z. heraus. Sie erzählt offen und schnörkellos und immer ist da dieser Schalk.

Rosmarie Z. bemalt heute Steine, wenn ihr langweilig ist.

Kreativität als Zeitvertreib

Den Vater musste sie in einem Heim platzieren, weil er mehrmals stürzte, und sie ihm nicht mehr aufhelfen konnte. Aber auch im Heim, in dem er schliesslich ein bisschen widerwillig lebte, besuchte sie ihn regelmässig, ass und jasste mit ihm. Sie kaufte ihm einen Fernseher, einen Kühlschrank für sein Bier und Material zum Malen. «So hatte er eigentlich noch gute elf Monate», sagt sie. Auch die Mutter musste sie schliesslich in ein Pflegeheim geben, weil es zu Hause nicht mehr ging. Das durfte die Tochter aber dem Vater nicht sagen.

Das Kreativsein verband Vater und Tochter. Wenn sie früher zusammen in die Ferien fuhren, malten die beiden und die Mutter strickte oder las. Zuhause baute der Vater an einer Modelleisenbahn und die Tochter gestaltete die Landschaft dazu. Heute vertreibt sich Z. manchmal immer noch ihre Zeit mit Malen. Sie hat sich Acrylfarben sowie Pinsel besorgt und bemalt damit Steine, die sie danach verschenkt.

 «Entweder denke ich positiv, oder ich werde depressiv»

Rosmarie Z. lebte mit ihren Eltern zusammen, weil sie mit Männern stets Pech gehabt habe, sagt sie. «Die haben mich ausgenützt.» Sie habe es auch mit Frauen probiert, in WGs, das sei ebenfalls nicht gut gegangen.

So blieb Rosmarie Z. alleinstehend. Ein Umstand, um den sie kein Aufhebens macht. Wie auch um ihre Krankheit nicht. «Es bleiben mir zwei Möglichkeiten: Entweder denke ich positiv, oder ich werde depressiv.» Es klingt leicht aus ihrem Mund. Mit dem Positivdenken übersteht sie auch die Nebenwirkungen der Chemo. «Wenn ich diese nicht auf mich nehme, lebe ich nicht mehr lange.»

Der Deal mit der Chirurgin

Ihre Eltern starben 2014, beide im gleichen Monat. Danach dachte Z. eigentlich, sie könne jetzt ihr Leben geniessen. Doch die Suche nach einer Zwei-Zimmer-Wohnung gestaltete sich als gar nicht so leicht: Sie zügelte zwei Mal. Und das Räumen der elterlichen Wohnung war ein Riesenkrampf.

Dann kam der Krebs. Rosmarie Z. ist eine starke Person, die nichts so leicht umhaut. Woher sie ihre Stärke nimmt? Sie ist Optimistin und macht einfach immer das Beste aus einer Situation.

Bevor die Chirurgin Rosmarie Z.s Tumor entfernte, schloss die Patientin einen «Deal» ab mit ihr: Auf ihrer Liste stünden noch Hamburg, Ostberlin und Barcelona. Diese Orte wolle sie alle noch besichtigen, forderte sie. Die Ärztin meinte, sie schaue, was sie tun könne. Im Aufwachraum teilte sie ihr dann mit, es stehe gut um ihre Reisepläne.

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