Nach dem Tod ist die Welt gelöscht
26.10.25
Literatur
Christoph Schlingensiefs Buch über seine Krebserkrankung ist ein kraftvolles Plädoyer gegen das Verstummen angesichts des Sterbens. Mit einem Diktiergerät hat er das Tagebuch seiner Krankheit So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein! aufgenommen – das merkt man dem Buch an. Die Sprache ist direkt und rau, wütend, flehend, traurig, erschöpft und dennoch hoffnungsvoll. Stilistisch nicht immer ganz korrekt, auch Wiederholungen kommen vor. Aber hier hebt einer die Stimme, ringt um den Sinn des Lebens und legt zutiefst menschliche Zeugenschaft ab.
Es sind brüchige Sätze, die immer wieder eine tiefgreifende Angst erkennen lassen. So sucht er nach der Diagnose die Kirche auf, spricht im Gebet mit Gott. Doch nach der Ruhe, die er dabei empfindet, bricht eine unbändige Wut aus – er ringt mit Gott, Jesus und Maria. «Gott ist ignorant. Er sagt einfach: was du da machst, interessiert mich nicht.» Auf Gott kommt er im Buch immer wieder zu sprechen. Mal nennt er ihn ein Schmerzsystem. «Gott hat nichts mit Freude zu tun.» Mal ist Gott nicht da. «Es ist alles ganz tot. Es ist alles ganz kalt.»
Beim deutschen Film- und Theaterregisseur wurde Anfang 2008 Lungenkrebs diagnostiziert, zuerst wurde ihm der linke Lungenflügel entfernt, Ende des Jahres wurden in der verbliebenen rechten Lunge neu entstandene Metastasen festgestellt. Im August 2010 starb er mit nur 49 Jahren. Das Buch schildert die Zeit dazwischen, die geprägt ist von Therapien, Klinikaufenthalten, Nächten voller Schmerzen, aber auch Arbeit, Liebe und geistigem Widerstand.
Schlingensief nimmt die Lesenden mit in die Gespräche mit den Ärzt:innen oder in die Chemo- und Strahlentherapie. Er schont weder sich noch uns Leser:innen. Mit unendlicher Wucht, Energie und Schärfe schildert er seine Ängste, Hoffnungen, Hysterie, Schmerzen und Freuden. Es sind viele Stunden im Krankenhaus, in einem Krankenbett, in einer kleiner werdenden Welt, auch wenn er, unterstützt von seiner Partnerin, immer wieder arbeiten und Regie im Theater führen kann.
Trotz aller Radikalität ist das Buch auch eine grosse Liebeserklärung – an das Leben, das Theater, die Kunst und vor allem an Aino Laberenz, seine Partnerin, die er ein Jahr vor seinem Tod heiratete. Er dankt ihr an mehreren Stellen, erkennt, was sie ebenfalls durchsteht und erträgt. Eine sehr berührende Passage erzählt, wie sie weinend in der Küche sitzt, während er im Bett nach ihr ruft. Sie geht zu ihm, sagt ihm, er dürfe nicht sterben, sie will nicht ohne ihn sein. Er nimmt sie – ohne selbst zu weinen – in den Arm und will stark sein für sie. Es ist ein stiller Moment, einer, in dem die Liebe das letzte Wort hat. – Katrin Zbinden
Christoph Schlingensief: So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein! Tagebuch einer Krebserkrankung, btb, München, 2012
Katrin Zbinden (Jahrgang 1975) kennt Palliaviva als Angehörige und schreibt für diesen Blog in loser Folge Rezensionen von Büchern übers Leben und Sterben. Ihr Mann starb im Frühling 2024 an einem bösartigen Hirntumor. Seither macht Katrin Zbinden die Erfahrung, dass ihr Lesen bei der Verarbeitung der Trauer hilft. So entstand eine Literaturliste, die sie anderen Interessierten zur Verfügung stellt.
Sie ist ehemalige Verlagsleiterin einer Architekturzeitschrift und arbeitet freiberuflich für die Stiftung Architektur Schweiz und das Architekturstudio Camponovo Baumgartner.