«Cannabis ist kein Wundermittel»

04.05.23

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Monika Jaquenod, Schmerzspezialistin und Palliative-Care-Ärztin, sitzt an einem Schreibtisch in der Praxis in Zürich.

Das Interesse an Cannabis ist gross in der Palliativmedizin: Diese Erfahrung macht Monika Jaquenod, die Konsiliarärztin von Palliaviva. Sie weiss, wo die Chancen sind – und auch, wo die Grenzen liegen.

Monika Jaquenod ist Schmerzspezialistin und Palliativmedizinerin. Sie gehört zum Team von Palliaviva und arbeitet eng mit den Pflegefachpersonen zusammen. Die Ärztin macht selbst auch Hausbesuche bei Patientinnen und Patienten, die keinen Hausarzt oder keine Hausärztin haben. Das Spezialgebiet der Anästhesistin ist die Therapie komplexer Symptome, wie zum Beispiel chronische Schmerzen oder Tumorschmerzen.

Eine Alternative zu Opiaten?

In der Palliativmedizin, die zum Fokus von Monika Jaquenod gehört, sind Schmerzen ein stets präsentes Thema. «Ich werde häufig gefragt, ob Cannabis helfen könnte», sagt sie und fügt an: «Interessanterweise sind es oft die Angehörige, die mir diese Frage stellen, und nicht die Patientinnen oder Patienten selbst.» Manche Angehörige hätten einen meist unbegründeten, grossen Respekt vor Opiaten. «Sie fürchten, die Medikamente seien schädlich und der Patient oder die Patientin werde abhängig oder zunehmend verwirrt.»

Diese Vorurteile, sagt die Schmerzspezialistin, könne sie meist im Gespräch entkräften. «Wir begleiten die Betroffenen hochkompetent, während ihrer Krankheit und in der letzten Lebensphase», unterstreicht sie. «Opiate gehören, richtig eingesetzt und dosiert, zu den besten Medikamenten.» So lindert Morphium nicht nur Schmerzen, sondern wird unter anderem auch gegen Atemnot eingesetzt.

Keine Kassen-Pflichtleistung

Dass Angehörige oder auch Patientinnen und Patienten auf den Gedanken kommen, Cannabis wäre allenfalls eine Alternative, kann sie gut nachvollziehen. In den Medien wird in letzter Zeit viel über Cannabis berichtet. So ist es wenig verwunderlich, dass Fragen dazu auftauchen. Eines hält Monika Jaquenod aber gleich fest: «Cannabis ist kein Wundermittel.» Sie kenne eine Anzahl von Patienten und Patientinnen, die Cannabis-Präparate ausprobiert, die Therapie aber wieder beendet hätten, sagt sie. «Das Kosten-Nutzen-Verhältnis stimmt für viele nicht. Aber einigen kann es wirklich helfen.» So haben die Cannabinoide – zu denen THC und CBD gehören – eine beruhigende Wirkung. Zudem kann Cannabis krampflindernd und antientzündlich wirken. Die Effekte sind individuell verschieden.

Die monatlichen Kosten für eine Cannabis-Therapie belaufen sich gemäss verschiedenen Quellen je nach Präparat und Dosierung auf 200 bis 800 Franken. Die Krankenkassen sind nicht verpflichtet, die Kosten zu übernehmen. Ärztin Monika Jaquenod macht die Erfahrung, dass die Ausgaben nur in Ausnahmefällen vergütet werden. Für Selbstzahler wird es also je nach Budgetsituation teuer. Dazu kommt laut Monika Jaquenod ein wesentlicher Punkt: «Es gibt noch zu wenige wissenschaftlich fundierte Wirksamkeitsnachweise für medizinische Anwendungen.»

Breite Palette an Indikationen

Ein Grund dafür, dass das Interesse an Arzneimitteln mit Cannabis stark gestiegen ist, dürfte in der Änderung der Gesetzeslage liegen: Cannabis mit einem THC-Gehalt von über 1 Prozent wird in der Schweiz zwar weiterhin als verbotenes Betäubungsmittel eingestuft. Das grundsätzliche Verbot von Cannabis zu medizinischen Zwecken wurde jedoch im Jahr 2022 aufgehoben. Das heisst, dass Ärztinnen und Ärzte Cannabispräparate für die medizinische Anwendung verschreiben können. Sie benötigen dafür keine Ausnahmebewilligung des BAG mehr wie zuvor. Allerdings existiert eine Meldepflicht für Therapien mit THC über eine elektronische Plattform des Bundes.

Die Palliaviva-Ärztin Monika Jaquenod erklärt, sie stelle allen Schmerzpatientinnen und -patienten die Therapiemöglichkeiten mit Cannabis kurz vor: «In der Schmerzberatung gehört das heute dazu.»

Konkret kommen zum Verschreiben einerseits zwei von Swissmedic zugelassene Arzneimittel in Frage. Andererseits sind es sogenannte Magistralrezepturen, die nach ärztlichem Rezept in einer Apotheke hergestellt werden. In der Praxis von Monika Jaquenod handelt es sich in der Regel um ölige THC-Lösungen, die nach einem Dosierungsschema oral in Tropfenform eingenommen werden.

Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) führt auf seiner Website folgende häufige Indikationen für Cannabis-Arzneimittel auf:

  • Chronische Schmerzzustände, zum Beispiel bei neuropathischen oder durch Krebs verursachten Schmerzen;
  • Spastik und Krämpfe, die durch Multiple Sklerose oder andere neurologische Krankheiten ausgelöst werden;
  • Übelkeit und Appetitverlust im Fall einer Chemotherapie.

Eine Pionierrolle in der Herstellung von medizinischen Cannabis-Produkten hat in der Schweiz schon vor vielen Jahren die Bahnhof Apotheke Langnau im Emmental eingenommen. Es handelte sich um die erste Apotheke, die mit Bewilligung des BAG selber Cannabis-Präparate herstellen und gegen ärztliches Rezept abgeben durfte. Inzwischen hätten einige wenige andere Apotheken nachgezogen, erklärt Daniela Eigenmann, Apothekerin und Co-Leiterin der Cannabis-Abteilung der Bahnhof Apotheke in Langnau.

Blick auf eine Cannabis-Plantage mit Hunderten von Pflanzen.

Mehr Forschung erwünscht

Auch im Emmental registriert man ein reges Interesse an Cannabis als Medizin, wie Daniela Eigenmann bestätigt. Auch sie sagt, ein Wundermittel seien Cannabis-Präparate in ihren Augen nicht. «Als ergänzende, unterstützende Therapie können Cannabinoide im Einzelfall aber interessant sein. Dies insbesondere dann, wenn Patientinnen oder Patienten nicht auf konventionelle Medikamente ansprechen, so auch in der Palliativmedizin», erklärt die Apothekerin. Gerade die «Nebenwirkungen» von THC-haltigen Cannabis-Arzneimitteln wie ein beruhigender oder müde machender Effekt seien von manchen Patientinnen oder Patienten sogar erwünscht. Eine berauschende Wirkung sei bei einer oralen Einnahme bei therapeutischen THC-Dosen in der Regel nicht zu erwarten.

Daniela Eigenmann hält ebenfalls fest: Hinweise, wonach Cannabinoide wie THC oder auch das nicht psychoaktive CBD beim Menschen allenfalls krebshemmend wirken könnten, seien bis heute nicht wissenschaftlich erhärtet. Sowohl für sie als auch für Palliaviva-Konsiliarärztin Monika Jaquenod ist darum klar: Die Forschung zum Einsatz von Cannabis in der Medizin muss weitergehen.

Monika Jaquenod rät ihren Patientinnen und Patienten übrigens, während einer THC-Therapie nicht Auto zu fahren. So seien sie auf der sicheren Seite, denn im Einzelfall müsste eine verkehrsmedizinische Abklärung zeigen, ob jemand fahren darf. Im Zweifel empfiehlt sie, das Strassenverkehrsamt des Wohnkantons zu kontaktieren.

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