Bodenständig, tiefgründig, natürlich

08.02.17

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Mit farbigen Turnschuhen und stets etwas zerzaust: Eveline Häberli hat eine chaotisch-lockere, aber auch eine tiefgründig genaue Seite (Bild: sa).

Wer mit Eveline Häberli über ihre Arbeit in der Palliative Care, über Sterben und Tod spricht, merkt: Diese Frau denkt viel nach. Diese Tiefgründigkeit vermutet man bei der 36-Jährigen aufgrund ihrer fröhlichen und unbeschwerten Art nicht auf den ersten Blick.

Eveline Häberli trägt immer farbige Sneakers, sie besitzt eine ganze Sammlung davon. Ihre Frisur ist oft etwas zerzaust, ihr Lachen laut. Auch wenn sie etwas liebenswert Chaotisches an sich hat: Die Pflegefachfrau arbeitet penibel genau und hat ein grosses Sicherheitsbedürfnis, wie sie selbst sagt. Zudem ist sie belesen und hat sich viele Gedanken übers Sterben und den Tod gemacht.

Bereits früh in ihrer Ausbildung zur Pflegefachfrau absolvierte sie an der SIETA einen Sterbebegleitungs-Kurs. Damals verfasste sie auch ein Gedicht übers Sterben. Kürzlich las sie es im Gesprächs-Café vor, das Onko Plus zusammen mit dem Forum für Sterbekultur ins Leben gerufen hat. Das Gedicht handelt davon, dass jeder diesen Weg alleine gehen muss und man niemanden aufhalten kann.

Zwischen Intubieren und Geschehenlassen

Häberli spezialisierte sich nach ihrer Grundausbildung auf Anästhesie. Neben ihrer Anstellung bei Onko Plus übte sie bis vor Kurzem auch einen Zweitjob in dieser Disziplin aus. An der Arbeit im Schockraum fasziniert sie das Spannungsfeld zwischen notfallmedizinischem Handeln und Geschehenlassen. Man frage Schwerverletzte in solch einer Situation meist nicht, von wem sie sich verabschieden wollen, sondern intubiere sie. «Andererseits ist viel Mut nötig, jemandem nur Morphium zu spritzen und auf die Angehörigen zu warten.» Häberli will die Notfallmedizin keinesfalls verteufeln oder gegen die Palliativmedizin ausspielen. Beide müssen Platz haben.

Jetzt hat sie sich als Pflegefachfrau definitiv letzterer, das heisst den Schwerkranken und Sterbenden, zugewandt. Die Tatsache, dass all ihre Patientinnen und Patienten früher oder später sterben, sieht sie als etwas Natürliches an. Der Tod gehöre zum Leben. «Ich fokussiere mich auf die Dinge, die ich beeinflussen kann», sagt sie.

«Heute sagt man dem, was wir machen, Palliative Care. Aber eigentlich gehört das zum Job jeder normalen Krankenschwester», sagt Häberli. Um einen Menschen zu betreuen, seien menschliche Fähigkeiten nötig wie Empathie, Humor, Respekt und Zuhörenkönnen. Sie findet es trotzdem wichtig, dass es Organisationen wie Onko Plus gibt. «Denn Patientinnen und Patienten fallen durch alle Maschen, wenn sie austherapiert sind. Sie müssen wieder zum Hausarzt, von dem sie denken: Der kennt mich doch gar nicht mehr.» Ein Teil der Aufgabe der Palliativpflegenden sei, diese Menschen und ihre Angehörigen aufzufangen und in ein häusliches Setting einzubetten, so dass sie sich sicher und aufgehoben fühlen.

«Wie geht es der Seele?»

Beim Patienten zu Hause gehört es zu Häberlis Pflicht, Symptome zu kontrollieren: Wie hat er die Schmerzen im Griff? Leidet er unter Übelkeit oder Verstopfung? Gibt es andere körperliche Probleme? Wichtig ist ihr immer auch, die Belastungen im familiären System auszuloten. Zu ihren Standardfragen gehört ausserdem «Wie geht es der Seele?» Nicht selten trifft sie so einen wunden Punkt. Patientinnen und Patienten oder auch die Angehörigen können über ihre Ängste sprechen. Viele haben zum Beispiel Angst vor dem Ungewissen, vor dem, was konkret auf sie zukommt. Häberli erklärt ihnen dann, was beim Sterben in etwa passiert. Zum Beispiel sagt sie, dass sich der Körper langsam zurücknehme.

«Der Sterbeakt interessiert alle, aber nur wenige sprechen darüber», sagt sie. Sie rede mit Patienten und Angehörigen zwar Klartext, formuliere aber allgemein und lasse den Menschen Hoffnung. Das sei das Wichtigste. «Ich kann den Patientinnen und Patienten nicht sagen, wie ihr Sterben sein wird. Aber ich weiss, dass sie es meistern und wir die nötige Unterstützung bieten können.»

Eveline Häberli steht mit beiden Beinen auf dem Boden. Weil die Patienten von Onko Plus alle sehr verschieden sind, passt sie ihre Sprache den Gegebenheiten an: «Mit einem Bauern spreche ich eine andere Sprache, formuliere anders, direkter.»

Unzimperlich ist auch der Sport, den Häberli in der Freizeit ausübt: Sie spielt Rollerderby. In dieser Sportart duellieren sich zwei Teams auf Rollschuhen, und es wird auch mal mit harten Bandagen gekämpft. Da die 36-Jährige und ihr Partner aber bald ein Kind erwarten, setzt sie sich dieser Gefahr momentan nicht aus.

«In der Verletzlichkeit zeigt sich das Gute im Menschen»

Was ist in ihrem Beruf ein Erfolg? Es sei immer wieder schön, den tiefen Zusammenhalt in diesen Familien zu sehen und wie sich Menschen in diesem Prozess weiterentwickelten. Häberli erzählt von einer Frau, die anfänglich ganz nervös, sich nicht zutraute, ihren Mann zu betreuen und ihm Spritzen zu verabreichen. «Wir haben sie nicht gezwungen, nur unterstützt.» Am Schluss habe sie alles gemacht, war ruhig, konnte ihrem Mann Sicherheit vermitteln und sei selbst dankbar gewesen dafür. «In der Verletzlichkeit zeigt sich das Gute im Menschen und die Fähigkeit, daran zu wachsen.»

Für Häberli ist es auch ein Erfolg, «wenn Leute zu Hause sterben, die das wollen, aber es sich anfangs nicht vorstellen können». Oft erlebe sie zudem, dass Patientinnen oder Patienten, die ursprünglich mit Exit aus dem Leben gehen wollten, dann doch den natürlichen Weg wählten. «Das ist oft eine Erleichterung für das Umfeld und den  Patienten selbst.»

Was Angehörige leisten und wie gut sie es tun, beeindruckt Häberli, und es motiviert sie täglich aufs Neue für ihre Aufgabe. Zudem mag sie den Kontakt zu den verschiedenen Personen und den freien Stil, den die Pflege zu Hause erfordere. Man müsse aufs Gegenüber reagieren, sich auf dessen Rhythmus einstellen, flexibel sein.

Urvertrauen – beim Sterben und Gebären

Für Eveline Häberli sind zwei Begriffe zentral, wenn es ums Sterben geht: Urvertrauen und Verantwortung. «Wir können Menschen auf diesem Weg nur unterstützen, in ihrem Innersten wissen sie, wie es geht. Sie müssen die Verantwortung selbst übernehmen.»

Auf das Urvertrauen stützt sich die werdende Mutter auch, wenn es um die Geburt ihres Kindes geht. Sie verzichtet weitgehend auf vorgeburtliche Tests, wollte nur anfänglich das Ultraschallbild sehen. «Diese Sicherheit, die wir uns damit erhoffen, gibt es nicht.» Sie liess sich früh von einer Hebamme betreuen, mit der zusammen sie eine Hausgeburt plant. «Wenn Sterben zu Hause geht, geht auch Gebären zu Hause», sagt sie. Aufgrund ihrer Arbeit habe sich auch ihre Einstellung zur Geburt verändert. Sie vertraue weitgehend auf ihr Gefühl. «Ich habe eine grosse Ruhe in mir.»

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