«Ich weiss, dass das meine letzten Weihnachten sind»

30.12.16

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Kathrin Täschler musste den Kehlkopf und einen Teil der Zunge entfernen lassen. Eine Halskette aus Silber und Perlen, die eine Freundin extra für sie kreiert hat, verdeckt die Öffnung in ihrer Luftröhre. Freundinnen und Freunde haben ihr das Schmuckstück zum 50. Geburtstag geschenkt. (Bild: sa)

Kathrin Täschler musste schon viel durchmachen. Die Naturheilpraktikerin litt in drei Jahren an drei verschiedenen Krebsarten. Nun hat sie auch noch Metastasen in der Lunge, die ihr das Atmen erschweren. Doch ihr Lebenswille und ihre Lebensfreude sind ungebrochen. Die 50-Jährige hat die Feiertage so richtig zelebriert.

Betritt man Kathrin Täschlers Wohnung, fühlt man sich wie in einer weissen, weichen Weihnachtswunderwelt. Kein Kommodengriff, an dem kein Sternchen, keine Türfalle, an der kein Herzchen baumelt. Dort Engelsflügel, da ein «Merry X-Mas» in grossen Holzbuchstaben, im Hintergrund klingen amerikanische Weihnachtslieder: «Silent Night».

Die zierliche, kleine Frau mit den langen braunen Haaren serviert Kaffee und Prinzessinnentorte. Sie setzt sich vis-à-vis aufs Sofa. Die Antworten schreibt sie in ihrer gut leserlichen, schwungvollen Schrift mit Kugelschreiber auf einen karierten Block.

Seit wann sprechen Sie nicht mehr?

Kathrin Täschler: Das Sprechen wurde immer anstrengender für mich, von der Atmung her. Mir wurden ja bereits 2013 der Kehlkopf und ein Teil der Zunge entfernt. Ich habe ein Tracheostoma, also eine Öffnung in der Luftröhre, über die ich atme und früher auch kommunizierte. Die letzten drei Jahre konnte ich gut sprechen, da ich viel mit meiner Logopädin geübt hatte. Klar war es für mein Gegenüber gewöhnungsbedürftig, und es war wichtig, dass man hundertprozentig aufmerksam war. Seit letzten September kommuniziere ich nur noch schriftlich. Zur erschwerten Atmung kam ein Würgereflex hinzu, da ich fürs Sprechen aufs Stoma drücken musste.

Wie geht es Ihnen heute?

Gut. Ich nehme jeden Tag, wie er kommt, und freue mich über viele schöne Momente.

Wie geht es Ihnen körperlich?

Im Schulter- und Brustkorbbereich plagen mich starke Schmerzen. Sie kommen von den Metastasen, die im rechten Lungenflügel und im Gewebe sitzen. Seit gestern bin ich mit Morphin etwas besser eingestellt. Dieses macht mich aber auch müde. Dafür kann ich mehr essen, und der Brechreiz hat aufgehört.

«Heute früh war ich zum Beispiel in Oerlikon auf dem Markt. Das tat so gut!»

Gehen Sie noch aus dem Haus?

Ja, ich bin einfach auf Hilfe angewiesen und brauche einen Rollstuhl, da es wegen des Atmens und der Kälte zu anstrengend wird. Heute früh war ich zum Beispiel in Oerlikon auf dem Markt. Das tat so gut!

Wer hat Ihnen geholfen?

Ein Bekannter vom Kehlkopflosenverein, wo ich im Vorstand bin. Ich habe so liebe Freunde.

Kathrin Täschler trägt am Hals eine speziell für sie gefertigte Halskette aus Silber und Perlen, die ihr ihre Freunde zum 50. Geburtstag geschenkt haben. Wüsste man nicht, dass diese Frau schwer krank ist, sähe man es ihr nicht an. Aus ihren Augen blitzt der Schalk. Sie wirkt lebendig und beweglich, obwohl sie auf den zweiten Blick einen Rucksack trägt, aus dem ein Schlauch unter ihr Shirt führt. Über diese Magensonde wird sie künstlich ernährt.

Fürs Foto posiert sie, als würde sie das täglich tun. Vorher hat sie den Rucksack abgelegt und ihre Pantoffeln gegen geschnürte Pumps getauscht. Kokett, mit leicht schiefgelegtem Kopf, lächelt sie in die Kamera.

«Meine Wohnung ist meine Oase und schenkt mir positive Energie.»

Was bedeutet Lebensqualität für Sie?

Dass ich so lange wie möglich zu Hause in meiner Wohnung sein kann. Sie ist meine Oase und schenkt mir positive Energie. Das tut der Psyche gut.

Wie erging es Ihnen im Spital?

Dort lebt man eingeengt, hat fast keine Privatsphäre. Immer kommt jemand und kontrolliert einen. Ich war auch drei Wochen im Lighthouse. Dort päppelten sie mich auf. Das tat mir gut. Alle waren sehr lieb und nahmen sich Zeit. Die Zimmer sind aber halt auch sehr eng, und alle zwei Wochen stirbt wieder jemand. Das hat mich schon betroffen gemacht.

Würden Sie wieder in ein Hospiz gehen?

Nur wenn es gar nicht mehr ginge, auch mit der Unterstützung von Onko Plus und Spitex nicht. Falls ich zu hundert Prozent und 24 Stunden auf Pflege angewiesen wäre. Aber so lange ich mich bewegen kann und ich im Kopf ok bin, bin ich dankbar dafür, hier zu sein. Mein Wunsch ist eigentlich, hier zu sterben.

«Ich habe noch so viele Visionen und wäre so gerne gesund.»

Weshalb können Sie so offen übers Sterben sprechen?

Ich bin Realistin. Ich weiss, dass meine Zeit kommt. Klar, stimmt es mich traurig. Denn ich habe noch so viele Visionen und wäre so gerne gesund.

Was kommt für Sie nach dem Tod?

Das Paradies. Das hier auf Erden ist nur ein Zwischenstopp. Danach geht es weiter mit viel Liebe und Freude. Es wird ein helles Licht kommen.

Wie haben Sie Weihnachten gefeiert?

Mit meinen lieben Freunden, um Christi Geburt ganz nah zu sein. Wir haben musiziert, und ich habe gekocht. Ich weiss, dass das meine letzten Weihnachten sind. Deshalb habe ich sie umso mehr genossen.

 

Zur Person

Kathrin Täschler (50) ist Naturheilpraktikerin und diplomierte Masseurin. 2010 erkrankte sie an Mandelkrebs, erholte sich aber wieder. 2013 wurden ihr auch Kehlkopf- und Zungenkrebs diagnostiziert. Daraufhin wurden ihr der Kehlkopf und drei Viertel der Zunge entfernt. Sie lernte wieder sprechen, konnte aber nur noch Püriertes essen. Zwei Jahre lang ging es ihr gut, sie widmete sich ihren Hobbys und reiste viel. Sie lebte damals bereits von der IV, massierte bis Juli 2016 aber noch zwei Mal pro Woche.

2014 fand man Metastasen auf ihrer Lunge. Sie beschloss, nur noch alternative Therapien wie Mistel- oder Fiebertherapien dagegen anzuwenden und ihr Leben zu leben. Unter anderem verbrachte sie mehrere Monate auf Sylt und schrieb dort ihre Biografie nieder.

Im zweiten Halbjahr 2016 häuften sich ihre körperlichen Probleme: Sie hatte mit Schmerzen in der Lunge und Atemproblemen zu kämpfen, das Sprechen fiel ihr immer schwerer. Ein Pilz im Mund und in der Speiseröhre liess sie andauernd erbrechen. Sie verlor an Gewicht. Mit nur noch 42 Kilogramm erhielt sie schliesslich eine Magensonde. Seither kommuniziert sie schreibend mit dem Gegenüber und lebt nach drei Wochen im Hospiz wieder zu Hause in ihrer eigenen Wohnung in Zürich-Oerlikon. Dort will sie auch bleiben bis zu ihrem Tod.

Kathrin Täschler ist mit verschiedenen Verlagen im Kontakt. Sie hofft, dass das Erscheinen ihres Buches, in dem sie ihr Schicksal festgehalten hat, noch erlebt.

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