«Am Anfang war der Krebs der Feind, jetzt ist er mein Freund»

09.01.17

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Kathrin Täschler, aufgenommen ein paar Tage vor Weihnachten. Die 50-Jährige hat ein Flair fürs Dekorieren und fürs Posieren. Fürs Foto hat sie ihre Pantoffeln gegen Schnürpumps getauscht. (Bilder: sa)

Kathrin Täschler ist schwer krank, nimmt ihr Schicksal aber offenbar mit einer grossen Leichtigkeit an. Sie schöpft ihre Lebensfreude aus ihrem Glauben an Gott und dem Wissen, dass sie anderen Mut machen kann. Deshalb will sie unbedingt das Erscheinen ihres Buches noch erleben.

Kathrin Täschler wirkt müde an diesem Nachmittag im frühen neuen Jahr. Unter ihren Augen liegen Schatten. Sie serviert edles Mineralwasser in der Flasche – das lässt sie sich liefern. Sie ist die vollendete Gastgeberin. Sich selber schenkt sie eine Cola ein. Ihre Antworten schreibt sie schwungvoll auf einen karierten Block. Seit sie Probleme mit dem Atmen hat, kann sie nicht mehr sprechen. Wegen Krebs waren ihr der Kehlkopf und ein Teil der Zunge entfernt worden. Im Gespräch wirkt sie nicht mehr müde. Sie fixiert das Gegenüber intensiv. Aus ihren grünen Augen blitzt ihr Charme.

Wie geht es Ihnen heute?

Kathrin Täschler: Gut. Ich habe sehr schöne Feiertage erlebt und muss deswegen auch noch etwas Schlaf nachholen. An Silvester war ich bis 3.30 Uhr unterwegs. Mit lieben Freunden vergisst man eben die Zeit. Zusätzlich macht mich der Schnee müde. Sonst ist alles den Umständen entsprechend ok. Die Schmerzen haben ein bisschen zugenommen: Der Tumor drückt beim Wachsen von innen nach aussen. Zu sehen, wie sich der eigene Körper verändert, ist nicht immer leicht.

Ich darf Ihnen gratulieren. Der erste Blogbeitrag über Sie war extrem erfolgreich! Weshalb stösst Ihre Geschichte auf so viel Interesse?

Weil sie wirklich passiert, weil sie aus dem Leben gegriffen und natürlich ist. Vielen gefallen auch meine Ausstrahlung und die Art, wie ich mein Schicksal annehme und umgehe damit. Das weiss ich aus Feedbacks, die mich direkt erreicht haben. Ich mache vielen Menschen Mut, die auch betroffen sind oder jemand in ihrem näheren Umfeld haben, und motiviere sie.

«Mit dem Schreiben kann ich viel in mir bewegen. Es ist Heilung für mich.»

Sie haben Ihr Leben in einem Buch niedergeschrieben. Weshalb?

Bevor ich 2013 am Kehlkopf und der Zunge operiert wurde, sagte mir meine innere Stimme, dass ich mein Leben zu Papier bringen, meine eigene Autobiografie schreiben soll. Diese Stimme wurde immer lauter. Ich merkte, dass ich mit dem Schreiben viel in mir bewegen kann, und es Heilung ist für mich.

Ging es auch darum, etwas zu hinterlassen?

Ja, eine Erinnerung. Es soll etwas bleiben von mir.

Als Sie zurückgeblickt haben: Was waren die schönsten Zeiten in Ihrem Leben?

Das waren sehr viele. Sie stehen in meinem Buch.

Können Sie uns ein paar Beispiele nennen?

Meine Kindheit. Meine Jugend. Vieles, was ich erlebt habe. Ich hatte ein wunderschönes Leben.

Würden Sie etwas ändern, wenn Sie könnten?

Ich würde noch intensiver leben.

Haben Sie eine sogenannte Bucket List, eine Liste von Dingen, die Sie vor Ihrem Tod noch erleben wollen?

[Kathrin Täschler nickt, lacht und deutet mit beiden Händen eine lange Liste an.] Auch die finden Sie im Buch, sie ist sehr lang. Mein grösster Wunsch ist, meine Buchvernissage zu feiern. Dazu muss ich aber erst einen Verlag finden. Es ist noch alles offen. Ein zweiter grosser Wunsch ist, nochmals nach Sylt zu reisen, wo das Buch entstanden ist. Der Ort bedeutet mir so viel. Ich hatte da die glücklichsten Momente mit mir selbst.

Weshalb Sylt?

Ich war 2014 mit einem guten Freund da und spürte: Da gehe ich wieder hin. Die Nordseeinsel ist ein Kraftort für mich, da stimmt einfach alles: Natur, Meer, Strand, Wind, Sonne.

«Ich schätze das Leben viel mehr und sehe es mit anderen Augen, seit ich krank bin.»

Wie hat die Krankheit Sie verändert?

Ich bin mehr bei mir, seit ich krank bin, und lebe wirklich, was und wie ich will. Ich kann mehr für mein Wohlgefühl sorgen, indem ich meinen inneren Bedürfnissen nachgehe. Ich schätze das Leben viel mehr und sehe es mit anderen Augen, mit lieben Augen.

Das klingt jetzt etwas gar positiv.

Das ging auch nicht von heute auf morgen. Seit 2010 habe ich meinen Freund bei mir – so nenne ich den Krebs. Das tönt positiver.

Ihren Freund?

Am Anfang war er der Feind, dann mein Gegner. Jetzt ist er mein Freund. Im Jahr 2010 hatte ich Mandelkrebs, und es sah alles sehr positiv aus. Mir wurden 80- bis 100-prozentige Chancen auf Heilung vorausgesagt. Als dann 2013 nochmals zwei verschiedene Krebsarten dazukamen, war das schon happig.

Hadern Sie mit Ihrem Schicksal?

Ab und zu. Vor allem wenn ich jetzt bei vollem Bewusstsein sehe, wie mein Körper immer schwächer wird. Das Hadern bleibt, einfach in einer schwächeren Form.

Wie Sie früher erzählten, glauben Sie an Gott. Stellen Sie ihn nicht in Frage?

Doch, schon. Vor allem bei so viel Leid, das ich durchmachen muss. Das sind aber nur kurze Momente. Ich habe seit drei Wochen gute Gespräche mit meinem Pfarrer, der mich begleitet. Wir tauschen uns per Mail aus. Er sagt, das Zweifeln dürfe auch sein.

Suchen Sie einen Sinn in Ihrer Krankheit?

Ja, vor allem früher hab ich das getan. Jetzt weiss ich, dass ich mit meiner Natürlichkeit, meinem Mut und meiner Liebe vielen Menschen helfen kann.

Können Sie das genauer erklären?

Es geht darum, über mein Buch, über diesen Blog oder über Facebook andere Menschen zu motivieren. Das sehe ich als meinen Sinn. Klar ist das ein hoher Preis, den ich bezahlen muss. Das schafft nur jemand, dem Gott es auch zutraut. Er schenkt mir immer wieder Kraft.

«Das Fragen nach dem Warum raubt viel Energie.»

Fragen Sie sich, warum es genau Sie getroffen hat?

Ja, als alles anfing, war das so. Aber das Fragen nach dem Warum raubt viel Energie. Ich brauche meine Kraft. Ich schöpfe sie aus meiner Lebensfreude. Die ist in mir, und sie ist neugierig wie ein kleines Kind.

Was ausser Gott gibt Ihnen diese Energie?

Ich sehe beim Zurückschauen nur das Schöne und versuche, alles Negative zu vergessen. Ich kann es ja nicht ändern, aber meine Einstellung dazu schon. Ich versuche auch im Jetzt das wertzuschätzen, was ich noch kann und was mir Freude schenkt.

 

Zur Person

Kathrin Täschler (50) ist Naturheilpraktikerin und diplomierte Masseurin. 2010 erkrankte sie an Mandelkrebs, erholte sich aber wieder. 2013 wurden ihr auch Kehlkopf- und Zungenkrebs diagnostiziert. Daraufhin wurden ihr der Kehlkopf und drei Viertel der Zunge entfernt. Sie lernte wieder sprechen, konnte aber nur noch Püriertes essen. Zwei Jahre lang ging es ihr gut, sie widmete sich ihren Hobbys und reiste viel. Sie lebte damals bereits von der IV, massierte bis Juli 2016 aber noch zwei Mal pro Woche.

2014 fand man Metastasen auf ihrer Lunge. Sie beschloss, nur noch alternative Therapien wie Mistel- oder Fiebertherapien dagegen anzuwenden und ihr Leben zu leben. Unter anderem verbrachte sie mehrere Monate auf Sylt und schrieb dort ihre Biografie nieder.

Im zweiten Halbjahr 2016 häuften sich ihre körperlichen Probleme: Sie hatte mit Schmerzen in der Lunge und Atemproblemen zu kämpfen, das Sprechen fiel ihr immer schwerer. Ein Pilz im Mund und in der Speiseröhre liess sie andauernd erbrechen. Sie verlor an Gewicht. Mit nur noch 42 Kilogramm erhielt sie schliesslich eine Magensonde. Seither kommuniziert sie schreibend mit dem Gegenüber und lebt nach drei Wochen im Hospiz wieder zu Hause in ihrer eigenen Wohnung in Zürich-Oerlikon. Dort will sie auch bleiben bis zu ihrem Tod.

Kathrin Täschler ist mit verschiedenen Verlagen im Kontakt. Sie hofft, dass das Erscheinen ihres Buches, in dem sie ihr Schicksal festgehalten hat, noch erlebt.

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