24/7: Was in einem Pikettdienst in der Nacht passiert

09.08.23

Danke fürs Teilen.
Palliaviva-Mitarbeiterin Ankie van Es steht in der Nacht auf einem Trottoir und telefoniert.

Ankie van Es ist bei einem Notfalleinsatz am Abend auf sich alleine gestellt und muss vieles aufs Mal organisieren.

Vier Stunden geschenkte Arbeitszeit: Das erhalten die Palliaviva-Pflegefachpersonen nach jedem Pikettdienst als Kompensation. Warum die Erreichbarkeit rund um die Uhr im Notfall wichtig ist, zeigt diese Reportage.

Der Abend lässt sich ruhig an. Ankie van Es öffnet um 18 Uhr 30 die Türe zu ihrer Wohnung, stellt die grosse Tasche ab und begrüsst ihren Partner. «Heute gibt es unter den Patientinnen und Patienten niemanden, von der oder dem ich das Gefühl habe, sie oder er befinde sich in einer kritischen Situation», sagt die Palliaviva-Pflegefachfrau, geht in die Küche und öffnet den Kühlschrank.

Es scheint ein Pikettdienst zu werden, der ohne Ausrücken ablaufen wird; vielleicht mit ein paar Telefonanrufen von Patientinnen, Patienten oder Angehörigen, die eine medizinische Frage haben. Vieles lässt sich fernmündlich erledigen, wie sich zeigen wird. Anderes nicht.

Ein Patient mit Atemnot

Ankie van Es setzt einen Topf mit Wasser auf und beginnt, Pasta zu kochen. Ihr Partner deckt den Tisch. Noch bevor die Teigwaren al dente sind, klingelt das Pikett-Handy. Ankie van Es setzt sich, den Laptop, einen Schreibblock und einen Kugelschreiber vor sich. Am Telefon ist ein Patient, den sie gut kennt. Der über 70-jährige Herr leidet an Krebs mit Metastasen. Schon vor bald zwei Jahren sagte man ihm, er sei sehr schwer krank. Er ging davon aus, nur noch wenige Monate zu leben.

Die Pflegefachfrau runzelt die Stirn, während sie dem Patienten zuhört. «Ich höre, dass Sie nicht gut atmen können», sagt sie und fragt, ob er Morphium-Tropfen genommen habe. Ja, erwidert der Mann, aber er fühle sich noch immer schlecht. Ankie van Es fragt, ob er froh wäre, wenn sie vorbeikommen würde. Er bejaht, und sie verspricht, sich in zehn Minuten auf den Weg zu machen, nachdem sie etwas gegessen habe.

Eilig isst sie die Teigwaren mit Salat, nimmt dann ihre Tasche und fährt los. Inzwischen ist es nach 19 Uhr, der Patient wohnt ganz in der Nähe. Als sie eintrifft, bietet sich Ankie van Es ein erschütterndes Bild: Der ältere Mann sitzt mit fahler Gesichtsfarbe auf dem Sofa. Trotz des Sauerstoffs, der über ein Schläuchlein von einem mobilen, sogenannten Sauerstoffkonzentrator in seine Nase geführt wird, hat er grosse Mühe mit Atmen.

Starke Schmerzen durch eine Infektion

Die Frau des Patienten erklärt, sie habe ihn so angetroffen, als sie am Nachmittag nach Hause gekommen sei. «Sein Zustand hat sich rapide verschlechtert; am Mittag ging es ihm noch viel, viel besser.» Der Mann hat Schweisstropfen um die Nase, er wird von Schüttelfrost geplagt. Ankie van Es stellt fest, dass sein rechter Fuss dick angeschwollen und stark gerötet ist. Als die Pflegefachfrau den Fuss nur leicht berührt, schreit der Mann vor Schmerz auf. Sie vermutet eine Infektion, die zu einer Blutvergiftung führen kann.

Ankie van Es untersucht den Mann und gibt ihm eine Morphiumspritze. Aufgrund seines schlechten Allgemeinzustandes fragt sie den Mann und dessen Frau, ob ein vorübergehender Spitaleintritt für sie denkbar wäre. Sie nimmt an, dass sich die Infektion und vor allem auch die starken Schmerzen durch Antibiotika stoppen lassen. Die beiden sind einverstanden. Ankie van Es ruft eine Ambulanz, die eine gute halbe Stunde später eintrifft. Die beiden Rettungssanitäterinnen nehmen den Patienten mit und bringen ihn ins Spital. Ankie van Es telefoniert der lokalen Spitex, die in die tägliche Pflege involviert ist: Der geplante Besuch am nächsten Tag kann annulliert werden.

Eine Hand mit einer Spritze. Die Pflegefachfrau hat Morphium aufgezogen.

Ankie van Es bereitet eine Spritze mit Morphium vor.

Dankbarkeit des Gegenübers

Die Palliative-Care-Spezialistin fährt nach dem zweistündigen Einsatz zurück nach Hause. Draussen ist es dunkel. Daheim füllt sie eine Karaffe mit Wasser, nimmt sich ein Glas und setzt sich an den Tisch. «Für mich gehört das Pikett einfach dazu», sagt Ankie van Es. «Ich schlafe auch relativ gut, obschon ich weiss, dass das Handy jederzeit klingeln kann und ich unter Umständen ausrücken muss.» Die Dankbarkeit der Anruferinnen und Anrufer sei sehr gut spürbar. «Jeder weiss, dass man in der Nacht eher in Panik gerät als tagsüber. Wenn ich dann Sicherheit vermitteln und eine eskalierende Situation beruhigen kann, ist das sehr schön.»

Es ist eine halbe Stunde vor Mitternacht. Erneut klingelt das Telefon. Am anderen Ende ist die erwachsene Tochter einer Patientin mit einer Schmerzpumpe. Diese gibt kontinuierlich Schmerzmittel ab. «Meiner Mutter ist es schon den ganzen Abend übel», berichtet die Frau, die angerufen hat. Sie erzählt, die Ärztin sei am Nachmittag bei ihnen gewesen und habe die Schmerzmittel-Dosis erhöht. Ankie van Es geht davon aus, dass die Patientin die Umstellung nicht verträgt. Sie leitet die Tochter am Telefon an, wie sie die Dosierung nach unten anpassen kann. Im umgekehrten Fall hätte sie die Konsiliarärztin von Palliaviva beigezogen.

Vier Stunden Kompensation

Die Pikettdienste sind ein fester Bestandteil der Arbeit bei Palliaviva. Eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter steht den Patientinnen, Patienten und ihren Angehörigen bei medizinischen Notfällen rund um die Uhr zur Verfügung. Dass diese Bereitschaft mit vier Stunden geschenkter Arbeitszeit abgegolten wird, ist neu bei Palliaviva.

«Damit honorieren wir den Einsatz unserer Mitarbeitenden», fasst Palliaviva-Geschäftsleiterin Ilona Schmidt zusammen. «Das Pikett in der Nacht ist häufig belastend, und jedes einzelne Teammitglied trägt eine grosse Verantwortung. Die vier geschenkten Arbeitsstunden als Kompensation sind eine Anerkennung dafür.»

Weniger Schlaf als sonst

Während ihres Pikettdienstes geht Ankie van Es erst nach Mitternacht ins Bett. Die Nacht wird etwas kürzer als sonst, denn kurz vor halb sieben Uhr wird die Pflegefachfrau durch das Handy geweckt. Der Partner eines Patienten ruft an. Er ist aufgeregt und berichtet, der gut 60-jährige, schwer kranke Patient sei in der Nacht gestürzt. Verletzt habe er sich wahrscheinlich nicht, aber er – der Anrufer – müsse am Mittag bei der Arbeit erscheinen. Nun wisse er nicht, ob er seinen Partner alleinlassen könne.

Ankie van Es fragt, ob Nachbarn oder Familienmitglieder einspringen können, was nicht der Fall ist. Da der Patient neu bei Palliaviva angemeldet ist und erst am Tag zuvor das erste Gespräch stattgefunden hatte, ist dieser Notfall für alle eine Herausforderung. Ankie van Es bespricht mit dem Anrufer, dass es am Sichersten wäre, den Patienten zunächst für eine Abklärung ins Spital zu bringen. Von dort aus wird eine gute Anschlusslösung aufgegleist.

Der Pikettdienst von Ankie van Es dauert bis um 12 Uhr. Bis dahin ist sie noch mit Schreiben beschäftigt. Denn alles, was in dieser Nacht passiert ist, muss dokumentiert werden. Sie nimmt bis am Mittag auch noch die Anrufe auf dem Pikett-Handy entgegen; ausrücken würde aber eine Kollegin. Am Nachmittag hat Ankie van Es frei und wird die geschenkten Stunden einziehen.

Es ist stockdunkle Nacht, als Ankie van Es von ihrem Einsatz nach Hause zurückkehrt.

Der Zugriff auf die Krankengeschichten ist immer gewährleistet. Ankie von Es sitzt nachts zu Hause vor dem Laptop und liest ein Detail nach.

Hier spenden

Helfen Sie Menschen in ihrer letzten Lebensphase.

Nach oben
Feedback

Vielen Dank für Ihren Besuch

Erfahren Sie auch weiterhin von unseren Neuigkeiten. Jetzt Newsletter abonnieren: